Nachstehend dokumentieren wir eine Stellungnahme von Oleg Orlov (Menschenrechtszentrum Memorial , Mitglied im Vorstand von Memorial International) zur Haltung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

 

Das russische Parlament (wenn man denn diesen Marionettenverein als solches bezeichnen will) kehrt nach langer Pause mit einer Delegation in die Parlamentarische Versammlung des Europarats zurück.

Wozu? Offenbar, um die Kapitulation des Euraparats entgegenzunehmen. Die Sanktionen gegenüber der russischen Delegation sollen offenbar aufgehoben werden.

Um welche Sanktionen handelt es sich, auf die man verzichten soll? Der russischen Delegation, die ein Land vertritt, das gegen die Satzung des Europarats verstoßen und die Verpflichtungen nicht erfüllt hat, die es beim Eintritt in den Europarat übernommen hat, war das Stimmrecht entzogen worden. 1996 war Russland unter bestimmten Bedingungen aufgenommen worden, die in dem entsprechenden Akt fixiert sind. Damals bekundete unser Land seine Absicht, „internationale und innere Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen (wozu alle Mitgliedsländer des Europarats verpflichtet sind), es erteilte allen Formen von Drohungen und Gewaltanwendung gegen seine Nachbarn eine entschiedene Absage, bestehende Grenzkonflikte mit Nachbarländern sollten nach den Prinzipien des internationalen Rechts unter Einhaltung bestehender internationaler Verträge gelöst werden“. Aber 2014 kam es zur Annexion der Krim und dann zur Aggression in der Ostukraine. Darauf erfolgten die Sanktionen.

Heute, am 21. Juni 2019 wurde Ojub Titiev, Leiter von Memorial Tschetschenien, aus der Haft entlassen.

Am 10. Juni hatte das Stadtgericht Schali seinem Antrag auf vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zugestimmt. Für seine Freilassung hatten sich eine Vielzahl russischer sowie ausländischer Organisation und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingesetzt. Bei seiner Freilassung warteten Familienmitglieder sowie Kollegen, die Titiev am Tor empfingen. Auf die Frage, ob er beabsichtige seine Menschenrechtsarbeit fortzusetzen, antwortete er, dass er diese gar nicht aufgegeben habe. In Tschetschenien selbst werde Memorial nicht mehr arbeiten, die Arbeit selbst aber werde in jedem Fall fortgeführt, so Titiev.

21. Juni 2019

 

 

 

Bei dem Protestmarsch am 12. Juni in Moskau, der ursprünglich die Freilassung von Ivan Golunov zum Ziel hatte, kam es zu mehr als fünfhundert Festnahmen. Die Veranstalter der Aktion hatten an der nicht genehmigten Solidaritätsveranstaltung festgehalten, obwohl das Verfahren gegen Golunov eingestellt und er aus dem Hausarrest entlassen worden war, um die Aufklärung ähnlicher fabrizierter Verfahren, eine Reform des Paragraphen 228 und die Freilassung Unschuldiger zu fordern.

Unter den Verhafteten befanden sich neben Aleksej Navalnyj auch viele Journalisten. Die Sicherheitskräfte gingen mit großer Härte gegen die Teilnehmer vor. Gegen Abend wurden einige Festgenommene, die auf verschiedene Polizeistationen verteilt worden waren, wieder auf freien Fuß gesetzt, zu einigen ließ man keine Anwälte vor.

Den Teilnehmern drohen Strafen von bis zu 15 Tagen Haft wegen Verletzung des Versammlungsrechts sowie der Teilnahme an einer ungenehmigten Veranstaltung.

12./13. Juni 2019

 

 

Solidaritätsveranstaltung im Sacharov-Zentrum, Drohungen von Mithäftlingen, Dmitrievs Anwalt zum Stand des Prozesses

 

Seit etwa einem Jahr läuft nun der zweite Prozess gegen Jurij Dmitriev, Vorsitzender von Memorial Karelien.

Dmitriev erforscht seit vielen Jahren die Geschichte des sowjetischen Terrors in Karelien, ermittelte die Namen von über 13.000 Opfern und verzeichnete sie in einem Gedenkbuch. Sein Name ist zudem eng mit der Gedenkstätte Sandarmoch bei Medvezhegorsk verbunden, wo während der Zeit des Großen Terrors Tausende von Menschen erschossen wurden.

In einem ersten Verfahren war Dmitriev vom Stadtgericht Petrozavodsk von dem Vorwurf der Pornographie freigesprochen und am 27. Januar 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Gleichzeitig verurteilte man ihn zu zweieinhalb Jahren Haft wegen unerlaubten Waffenbesitzes, die allerdings auf die in der Untersuchungshaft verbrachte Zeit angerechnet wurde.

Am 27. Juni 2018 wurde Dmitriev erneut verhaftet, diesmal wegen angeblicher gewaltsamer sexueller Handlungen gegen Minderjährige unter 14 Jahren [Art. 132, Abschn. 4b des russ. StGB], ihm drohen nun bis zu 20 Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft von Karelien und die Großmutter von Dmitrievs Pflegetochter waren gegen den Freispruch in Revision gegangen. Es folgte eine erneute psychiatrische Untersuchung in St. Petersburg, die ihm in einem Gutachten vollständige psychische Gesundheit bescheinigte und keinerlei psychische Abweichungen oder pädophile Neigungen feststellte.

Wie Dmitrievs Anwalt berichtete, wurde sein Mandant in der Untersuchungshaft nun kürzlich von Mitgefangenen, die Dmitriev zwingen wollten, ein Geständnis abzulegen, massiv bedroht, Dmitriev wurde daraufhin in eine andere Zelle verlegt. Gleichzeitig fand in Moskau am 29. Mai im Sacharov-Zentrum eine Veranstaltung zur Unterstützung von Dmitriev unter Beteiligung seiner Familie, seines Anwalts und mehrerer Prominenter wie Ljudmila Ulizkaja, Lija Achedshakova, Andrej Makarevitsch und Julij Kim statt. In einem Interview äußert sich Dmitrievs Anwalt, Viktor Anufriev, zum Stand der Dinge.

Wir bringen das Interview in leicht gekürzter Fassung:

Wie der russische Innenminister Vladimir Kolokolzev am 11. Juni mitteilte, ist das Verfahren gegen den Journalisten Ivan Golunov eingestellt worden. Begründet wird dies damit, dass seine Schuld nicht bewiesen sei.

Am Abend des 11. Juni werde Golunov aus dem Hausarrest entlassen.

Die Verhaftung Golunovs hatte im In- und Ausland eine breite Protestwelle ausgelöst.

11. Juni 2019

Bei der Festnahme des „Meduza“-Journalisten Ivan Golunov ist es zu zahlreichen schwerwiegenden Verfahrensverstößen gekommen. Die Tatsache, dass seine Angehörigen nicht verständigt und mehrere Stunden lang kein Anwalt zu ihm gelassen wurde, die dubiosen Umstände bei seiner persönlichen Durchsuchung sowie bei der Haussuchung, die von den Moskauer Behörden veröffentlichten gefälschten Fotos des „häuslichen Drogenlaboratoriums“, Schläge, verweigerte medizinische Hilfeleistung, eine längere Inhaftierung als zulässig – diese Liste ist noch unvollständig und gibt allen Anlass zu vermuten, dass ein Verfahren gegen ihn fabriziert werden sollte.

Es scheint wenig glaubwürdig, dass ein aktiv und erfolgreich recherchierender Journalist zugleich Drogenhandel betreibt. Wir wissen, wie leicht Verfahren fabriziert werden, in denen Aufbewahrung von Drogen unterstellt wird, so es wie z. B. bei den politischen Gefangenen Ojub Titiev, Andrej Kolomijz, Michail Savostin, Zhalaudi Geriev und Ruslan Kutaev der Fall war.

Dass derartige Rechtsverletzungen sowie die Fälschung von Beweismitteln in Strafverfahren notorisch ungeahndet bleiben, leistet dieser verbreiteten Praxis Vorschub.

Wir erklären uns mit Ivan Golunov solidarisch und fordern eine objektive und transparente Untersuchung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe.

Die Personen, die für die Verletzung von Golunovs Rechten verantwortlich sind und erst recht jene, die „Beweismittel“ für ein besonders schweres Verbrechen gefälscht haben, müssen ausfindig gemacht und bestraft werden. Daher ist es von großer Bedeutung, dass die Unterstützungs- und Solidaritäts-Kampagne, die in kurzer Zeit weltweit in Gang kam, fortgesetzt wird.

10. Juni 2019

 

 

Ojub Titiev hatte am 15. Mai eine vorzeitige Haftentlassung beantragt. Wegen angeblichen Drogenbesitzes war er am 18. März dieses Jahres zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden.

Der Richter des Stadtgerichts Schali As-Saljal Kultschiev gab Titievs Antrag heute statt. Das Urteil tritt in zehn Tagen in Kraft.

Titiev will nach seiner Freilassung seine Menschenrechtsarbeit wieder aufnehmen.

 

10. Juni 2019

 

 

Der Journalist Ivan Golunov, der in Moskau am 6. Juni festgenommen wurde, soll laut Gerichtsbeschluss vom 8. Juni in den Hausarrest überstellt werden. Bis zum 7. August darf er seine Wohnung nicht verlassen.

Golunov ist als Korrespondent für das in Lettland ansässige Internetportal Meduza tätig und hat etliche Berichte über Korruption in Moskau publiziert. Meduza zufolge hat er immer wieder Drohungen erhalten.

Angeblicher Grund der Festnahme war versuchter Drogenhandel in großem Umfang (worauf eine Haftstrafe von 10 bis 20 Jahren steht) – in seinem Rucksack sowie später in seiner Wohnung sollen Drogen gefunden worden sein. Nach Aussage Golunovs wurden die Drogen ihm untergeschoben, ein in Russland nicht ungewöhnliches Vorgehen, wie es nicht zuletzt auch bei Ojub Titiev praktiziert wurde. Von der Polizei präsentierte und in den Medien verbreitete Fotos, auf denen Golunovs Wohnung mit den dort befindlichen Drogen zu sehen sein sollten, stammten in Wirklichkeit von einem anderen Örtlichkeit, wie inzwischen auch eingeräumt wurde.

In der Haft wurde Golunov misshandelt, geschlagen und getreten. Anwälte erreichten schließlich – gegen etlichen Widerstand – seine Einlieferung ins Krankenhaus. Diagnostiziert wurden zwei gebrochene Rippen, Prellungen und eine Gehirnerschütterung.

Sowohl in Russland als auch im Ausland kam es zu zahlreichen Protesten, in Russland wurden bei Einzelmahnwachen etliche Protestierende festgenommen. Eine Petition für die Freilassung Ivan Golunovs finden Sie hier.

8. Juni 2019

Erklärung der Internationalen Gesellschaft MEMORIAL

Bereits 20 Jahre – seit 1999 – führt MEMORIAL International jährlich den Schülerwettbewerb „Der Mensch in der Geschichte. Russland – das 20. Jahrhundert“ für die Oberstufe durch. In diesen 20 Jahren haben etwa 50.000 Schüler aus allen russischen Regionen daran teilgenommen. Mitglieder der Jury waren zu verschiedenen Zeiten Akademiemitglied Sigurd Schmidt sowie die Schriftsteller Daniil Granin und Svetlana Alexijewitsch. Heute leitet Ljudmila Ulizkaja die Jury. Die Hauptaufgabe des Wettbewerbs besteht darin, bei den Schülern das Interesse an der russischen Geschichte sowie an der Geschichte ihrer Familie, ihrer kleinen Heimat, zu wecken.

Seit 2016 ist der Wettbewerb Attacken von Aktivisten der radikalen Organisationen NOD (Nationale Befreiungsbewegung) und SERB (South East Radical Block) ausgesetzt, und das nicht ohne publizistische Schützenhilfe durch die föderalen Fernsehkanäle REN-TV und Rossija 24. In diesem Jahr strahlte Rossija 24 am Abend vor der Jubiläumsveranstaltung - der zwanzigsten Preisverleihung - einen Beitrag aus, in dem der Wettbewerb und seine Teilnehmer auf perfide Weise verleumdet wurden. Die Organisatoren des Wettbewerbs wurden als „moderne Judasse“ bezeichnet, die Autoren folgten damit den übelsten Traditionen der sowjetischen Propaganda. Diese Kampagne wurde auch nach der Preisverleihung fortgesetzt. Vorwürfe des „Antipatriotismus“ und des Ansinnens, die Geschichte „umzuschreiben“, wurden nicht nur gegen die Organisatoren erhoben, sondern auch gegen die Schüler und ihre Lehrer.

Das Empörendste spielte sich jedoch erst ab, nachdem die Preisträger nach Hause zurückgekehrt waren. Seit dem 6. Mai erfährt das Organisationskomitee des Wettbewerbs immer häufiger davon, dass in den meisten der 24 Regionen, in denen die diesjährigen Preisträger leben, ihre wissenschaftlichen Leiter und Lehrer zu den Schuldirektoren zitiert werden, zu Unterredungen mit Personen, die sich als Mitarbeiter lokaler Bildungsabteilungen, der Regionalverwaltung oder des FSB ausgeben. Die Lehrer werden befragt, wie die Information über den Wettbewerb verbreitet wird, es wird verlangt, die Arbeiten der Teilnehmer vorzulegen (auch aus früheren Jahren) und von einer weiteren Zusammenarbeit mit Memorial wird nachdrücklich abgeraten. Gelegentlich wurden zu solchen prophylaktischen Gesprächen auch die Laureaten, die Schüler selbst, dazugeladen.

Die Tatsache, dass diese Besuche in den Schulen mehrerer Regionen synchron und parallel verliefen, deutet darauf hin, dass diese „Überprüfungen“ keine lokale Initiative sind, sondern zentral gesteuert.

Wir sehen darin nicht nur den Versuch, die langjährige Bildungsarbeit von Memorial zu diskreditieren, sondern auch das Bestreben, Schüler und Lehrer in Angst zu versetzen und Zensur auszuüben. Diese Versuche, die Teilnehmer des Wettbewerbs unter Druck zu setzen, sind inakzeptabel.

Wir hoffen auf die Unterstützung und Solidarität der Öffentlichkeit.

 

4. Juni 2019

 

 

 

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