Memorial International ist am 22. Oktober zu einer Geldstrafe von insgesamt 400.000 Rubeln (ca. 5.650 Euro) verurteilt worden (300.000 Rubel entfallen auf die Organisation, 100.000 auf den Vorsitzenden Jan Raczynski).

Das ist das erste von mehreren noch anstehenden Verfahren.

Im Sommer dieses Jahres erhielt Memorial International zehn „Protokolle“, d. h. Bescheide wegen eines Verstoßes gegen das Ordnungsstrafrecht, worauf ein entsprechendes Verfahren folgt. Die Organisation habe es unterlassen, in den sozialen Netzen (Facebook, Youtube) ihren Status als „ausländischer Agent“ zu vermerken. Analoge Protokolle (insgesamt zwei) gingen auch ans Menschenrechtszentrum Memorial und dessen Vorsitzenden Alexander Tscherkassov. Sie gehen auf eine Anzeige zurück, die FSB-Mitarbeiter in Inguschetien im August dieses Jahres erstattet hatten. Für jede einzelne Facebook- oder Youtube-Seite wurden zwei Protokolle erstellt (jeweils eine für die Organisation und für den Leiter).

Im heutigen Verfahren wies der Anwalt von Memorial darauf hin, dass der „Agenten-Status“ sowohl auf der Website als auch auf den Seiten bei Facebook und Youtube angegeben sei, es bestehe jedoch keine Notwendigkeit, den Vermerk zusätzlich noch auf jeder einzelnen Facebook-Publikation anzubringen. Eben darauf besteht jedoch die staatliche Aufsichtsbehörde.

Wenn in den noch bevorstehenden Verfahren ähnlich geurteilt wird, wird Memorial International Strafzahlungen in Höhe von annähernd 30.000 Euro zu leisten haben. Der nächste Gerichtstermin für Memorial International wie auch für das Menschenrechtszentrum ist für den 1. November anberaumt.

22. Oktober 2019

 

 

 

Neubesetzungen im Menschenrechtsrat

Michail Fedotov ist von Präsident Putin von seinem Amt als Vorsitzender des Menschenrechtsrats beim Präsidenten entbunden worden, wie es heißt, aus Altersgründen. Er ist im September 70 Jahre alt geworden und hat damit die Altersgrenze für Staatsbedienstete erreicht. Putin hätte seine Amtszeit zwar vertraglich verlängern können, machte aber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, obwohl die Mehrheit der Mitglieder des Menschenrechtsrats ihn in einem Schreiben ausdrücklich darum gebeten hatten. Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderem die ehemalige Verfassungsrichterin Tamara Morschtschakova, die Journalisten Nikolaj Svanidze und Leonid Nikitinskij, die Politologin Jekaterina Schulman, der Anwalt Genri Reznik, der Leiter von „Agora“ Pavel Tschikov sowie der Verfassungsrechter Ilja Schablinskij.

Zum Nachfolger Fedotovs wurde der Journalist und derzeitige Vorsitzende der Gesellschaftskammer Valerij Fadeev ernannt. Er ist Mitglied im obersten Rat der Partei „Einiges Russland“. Fadeev hatte seinerzeit das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Kundgebungen am 26. März und 12. Juni 2017 ausdrücklich gelobt.

Mit der Neubesetzung des Vorsitzes war es indes nicht getan, es folgten weitere personelle Änderungen im Menschenrechtsrat. Ihren Sitz im Rat verlor nicht nur Fedotov selbst, sondern auch Jekaterina Schulman (die weniger als ein Jahr Mitglied war), Pavel Tschikov, Ilja Schablinskij und Jevgenij Bobrov (Leiter der Menschenrechtsorganisation „Voschod“). Tamara Morschtschakova, die nach diesen Änderungen in ihrer Mitgliedschaft keinen Sinn mehr sieht, hat von sich aus erklärt, aus dem Rat auszuscheiden.

Neu aufgenommen wurden der kürzlich im Rahmen eines Gefangenenaustauschs aus ukrainischer Haft freigekommene Journalist Kirill Vyschinskij (Direktor der Nachrichtenagentur "Rossija segodnja"), Tatjana Merzljakova (Menschenrechtsbeauftragte für das Gebiet Sverdlovsk) und Alexander Totschenov (stellvertretender Sekretär der Gesellschaftskammer).

21. Oktober 2019

 

 

Die Menschenrechtsorganisation „Za prava tscheloveka“ (Für Menschenrechte) ist von der Schließung bedroht. Das Justizministerium hat einen entsprechenden Antrag ans Oberste Gericht gestellt.

Die Bewegung „Za prava tscheloveka“ wurde 1997 gegründet und ist ein Bündnis von einigen Dutzend Menschenrechtsorganisationen aus den meisten russischen Regionen. 2014 wurde sie bereits zum „ausländischen Agenten“ erklärt, aber bald darauf wieder aus diesem Verzeichnis gelöscht. Am 12. Februar 2019 registrierte das Justizministerium die Organisation, die zwischenzeitlich aus Zuschüsse aus dem Präsidentenfonds erhalten hatte, jedoch erneut als „Agenten“.

Das Justizministerium begründet sein Vorgehen damit, dass Satzung der Organisation nicht den aktuell geltenden gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Dies hatte eine außerplanmäßige detaillierte Überprüfung der NGO Anfang des Jahres ergeben. Außerdem sei „Za prava tscheloveka“ mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden. Letzteres hing damit zusammen, dass die Organisation sich auf ihren Publikationen nicht ausdrücklich als „ausländischer Agent“ gekennzeichnet hatte (wie es das das berüchtigte „Agentengesetz“ vorschreibt).

Die Satzung war 2014 verabschiedet und von den Behörden genehmigt worden. Danach wurden jedoch einige gesetzliche Änderungen vorgenommen. Die Organisation hatte dem Justizministerium schriftlich vorgeschlagen, bei der nächsten Vollversammlung in diesem Herbst die erforderlichen Satzungsänderungen durchzuführen. Das Ministerium hat darauf nicht reagiert.

16. Oktober 2019

Am 14. Oktober hat das Moskauer Stadtgericht das Urteil gegen Konstantin Kotov bestätigt und die Revision abgewiesen. Kotov war am 5. September nach Art. 212.1 zu vier Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er zuvor mehrere Ordnungsstrafen erhalten hatte.

Die Staatsanwaltschaft behauptete, in Kotovs Aktionen eine reale Gefahr zu sehen, weil sie einen Verstoß gegen Verkehrsregeln dargestellt und das Passieren von Straßen und Wegen zu Sehenswürdigkeiten der Stadt behindert hätten.

Das russische Verfassungsgericht hatte im Hinblick auf die Verfassungskonformität von Art. 212.1 ausdrücklich festgehalten, dass er nicht beim Vorliegen rein formaler Ordnungsstrafen anzuwenden sei, sondern nur, wenn die inkriminierten Handlungen zu einer realen öffentlichen Gefährdung geführt hätten.

Konstantin Kotov hatte in erster Linie regelmäßige Einzelmahnwachen zur Unterstützung politischer Gefangener, darunter insbesondere Oleg Sentsov und Alexander Koltschenko, durchgeführt.

15. Oktober 2019

 

 

Am 27. Juli gingen in Moskau tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Nicht-Zulassung oppositioneller Kandidaten zu den Moskauer Stadtparlamentswahlen zu kandidieren. An diesem Tag nahmen die Sicherheitskräfte 1373 Personen fest. Bereits nach zwei Tagen leitete das Ermittlungskomitee ein Verfahren wegen angeblicher Massenunruhen ein. Wir stellen einige der Angeklagten, vor, basierend auf Berichten bei OVD-Info.

 

Samariddin Radshabov, 21 Jahre, Vorarbeiter, inhaftiert, bekennt sich nicht schuldig

Radshabov renovierte vor seiner Verhaftung Wohnungen und nahm Rap-Musik auf. Ermittler nahmen Radshabov direkt in der Strafanstalt fest, wo er wegen der Teilnahme an den Aktionen vom 27. Juli eine Ordnungshaft verbüßte. Nach Angaben der Ermittler warf Radshabov eine Plastikflasche auf einen der Sicherheitskräfte. Nun beschuldigt man ihn, gegen einen Staatsvertreter Gewalt angewandt zu haben (ohne seine Gesundheit zu gefährden) sowie an Massenunruhen beteiligt gewesen zu sein. Der junge Mann befindet sich seit dem 2. August in Untersuchungshaft. Ihm droht eine Strafe von bis zu 12 Jahren.

Zweites Urteil nach Gesetz 212.1

Am 5. September ist zum zweiten Mal ein Urteil nach dem berüchtigten Gesetz 212.1 gefällt worden, diesmal gegen Konstantin Kotov. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.

Nach diesem Gesetz von 2014 können Personen, die innerhalb eines halben Jahres wegen angeblichen Verstößen gegen das Versammlungsrecht dreimal rechtskräftig zu einer Ordnungsstrafe verurteilt wurden, darüber hinaus eine Gefängnisstrafe erhalten. Die erste Verurteilung nach diesem Gesetz war am 7. Dezember 2015 gegen Ildar Dadin erfolgt, der später – nach längerer Haft und Folterungen, über die weltweit berichtet wurde – nicht nur vorzeitig entlassen, sondern auch rehabilitiert wurde. Das russische Verfassungsgericht hatte eine Revision des Gesetzes gefordert – bislang jedoch ohne Erfolg.

Konstantin Kotov gehörte zu den Initiatoren und regelmäßigen Teilnehmern der Einzel-Mahnwachen für ukrainische politische Gefangene in Russland (einschließlich der in der Meerenge von Kertsch gekidnappten Matrosen). Darüber hinaus nahm er an Solidaritäts-Kundgebungen für weitere politische Gefangene teil, nicht zuletzt auch für den Journalisten Ivan Golunov (das fabrizierte Strafverfahren gegen Golunov, dem man Drogen untergeschoben hatte, wurde inzwischen eingestellt), sowie an den Protesten gegen den Ausschluss oppositioneller Kandidaten von den russischen Kommunalwahlen.

Am 13. August wurde Kotov festgenommen. Unmittelbar darauf erfolgte bei ihm ohne jeglichen Gerichtsbeschluss eine Haussuchung. Bis zum 12. Oktober sollte er zunächst in Untersuchungshaft verbleiben.

Das Verfahren wurde allerdings in ungewöhnlicher Hast durchgeführt, das Urteil wurde bereits am 5. September verkündet.

Das Menschenrechtszentrum Memorial hat Konstantin Kotov als politischen Gefangenen anerkannt.

 

15. September 2019

 

 

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial                                  

Die deutschen Behörden verweigern Mochmad Abdurachmanov, Bruder von Tumso Abdurachmanov, dem bekannten Blogger und beständigem Kritiker des Regimes des tschetschenischen Führers Ramzan Kadyrov, Asyl. Nach Meinung der deutschen Migrationsbehörde könnte Mochmad und seine Familie im unermesslich großen Russland Schutz suchen. Wir wissen nicht, was sich hinter dieser Verweigerung verbirgt – die zynische Ignoranz grundlegender Prinzipien von Menschenrechten oder eine völlige Inkompetenz von Gerichten und Beamten.

Das Menschenrechtszentrum Memorial (PZ) ist der Ansicht, dass Tumsos Verwandten eine reale Gefahr droht und ihre Rückkehr in die Heimat inakzeptabel ist. Es ist offensichtlich, dass eine Ausweisung dem Regime Kadyrovs die Möglichkeit gewährt, Familienangehörige von Tumso als Geiseln zu nehmen, um den Blogger zum Schweigen zu zwingen. Die Frist, innerhalb derer Mochmad Abdurachmanov und seine Familie sich in Deutschland in relativer Sicherheit aufhalten können, läuft bald ab. Am 26. August 2019 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag von Mochmad auf politisches Asyl in Deutschland abgelehnt und verlangt, dass er das Land innerhalb eines Monats verlässt.

Zuvor, am 5. November 2018 hatte der Verwaltungsgerichtshof in Bayreuth bereits einen Asylantrag abgelehnt und erklärt, dem Antragsteller drohe in der Tschetschenischen Republik keine Gefahr. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte einer ähnlichen Behauptung eines Gerichts niederer Instanz nicht zugestimmt, war aber der Ansicht, dass Mochmad Abdurachmanov in anderen Regionen Russlands sicher leben kann. Abgelehnt wurde ebenfalls der Asylantrag der Gattin Mochmads, Marjam Gazieva, sowie der seiner Mutter Raisa Chasarova. Marjam und Mochmad haben ein kleines Kind, dass in Deutschland zur Welt gekommen ist. Von ihnen forderte man ebenfalls innerhalb eines Monats das Land zu verlassen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichthofes kann nicht angefochten werden.

12. September 2019

Wir begrüßen die Freilassung von 35 ukrainischen Gefangenen im Rahmen des am 7. September vorgenommenen Austauschs.

Die meisten der freigelassenen Ukrainer waren waren beim Menschenrechtszentrum Memorial als politische Gefangene verzeichnet. Gemeinsam mit vielen internationalen Organisationen und Menschenrechtsaktivisten der Ukraine und Russlands haben wir seit langem immer wieder die Einstellung ihrer illegalen Strafverfolgung sowie ihre bedingungslose Freilassung gefordert. Diese Forderungen wurden nicht in vollem Umfang erfüllt, aber bedeutend wichtiger ist, dass die unschuldigen Opfer politischer Verfolgung endlich in Freiheit und in ihre Heimat zurückgekehrt sind.

Allerdings sind noch viele Bürger der Ukraine sowie Krimtataren in Russland hinter Gittern verblieben, die Opfer politischer Verfolgung sind. Unsere offensichtlich bei weitem nicht vollständige Liste politischer Gefangener enthält die Namen von 48 Personen. Ohne Zweifel ist die Zahl der ukrainischen politischen Gefangenen in Russland wesentlich größer, da die Unterlagen zu vielen Prozessen nicht zugänglich sind und wir daher nicht prüfen können, ob die Betroffenen tatsächlich als politische Häftlinge anzusehen sind Die Freilassung von 35 Staatsbürgern der Ukraine kann zweifellos nur der erste Schritt zu einer schnellen und vollständigen Freilassung nicht nur der ukrainischen politischen Gefangenen in Russland, sondern aller ukrainischen Geiseln des Kreml sein.

Memorial erklärt neun Angeklagte zu politischen Gefangenen.

 

In diesem Sommer kam es in Moskau zu einer Reihe von Demonstrationen, hervorgerufen durch die Nichtzulassung von oppositionellen Kandidaten zur Wahl des Moskauer Stadtparlaments. Im Rahmen dieser Aktionen wurde eine große Zahl von Demonstranten festgenommen, gegen einige wurden Strafverfahren eröffnet. Mittlerweile sind mehrere Angeklagte zu Lagerstrafen verurteilt worden, unter Ihnen auch Personen, die Memorial zu politischen Gefangenen erklärt hat: Ivan Podkopajev, 3 Jahre Lagerhaft im allgemeinen Vollzug, Danil Beglez, 2 Jahre Lagerhaft im allgemeinen Vollzug, Kirill Shukov, 3 Jahre Lagerhaft im allgemeinen Vollzug, Evgenij Kovalenko, 3 ½ Jahre Lagerhaft im allgemeinen Vollzug. Wir bringen die Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial in Übersetzung.

 

 

Am 27. Juli 2019 kam es nicht zu Massenunruhen, sondern zu zahlreichen ungesetzlichen Verhaftungen von Demonstranten durch die Sicherheitskräfte.

Das Menschenrechtszentrum Memorial erklärt gemäß den internationalen Richtlinien für die Definition „Politischer Gefangener“ Danil Beglez, Aidar Gubaidulin, Egor Shukov, Kirill Shukov, Evgenij Kovalenko, Aleksej Minjailo, Ivan Podkopajev, Samariddin Radshabov und Sergej Fomin zu politischen Gefangenen. Gegen sie wird im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Massenunruhen verhandelt, zu denen es angeblich am 27. Juli in Moskau gekommen sein soll. An diesem Tag fanden dort Demonstrationen von mehreren tausend Menschen wegen der Nichtzulassung von oppositionellen Kandidaten zu den Moskauer Stadtparlamentswahlen statt. Nach drei Tagen, am 30. Juli, wurde ein Verfahren eingeleitet. Wir fordern, die genannten Personen sofort freizulassen und die Verantwortlichen für die ungesetzlichen Verfolgungen ebenso zur Rechenschaft zu ziehen wie diejenigen, die für die gewaltsame Auflösung der friedlichen Versammlungen in Moskau und anderen Städten Russlands verantwortlich sind.

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