Erklärung von Memorial International angesichts des bevorstehenden Urteils im Prozess gegen Jurij Dmitriev

 

In Petrozavodsk (Republik Karelien) geht einer der aufsehenerregendsten Prozesse im heutigen Russland zu Ende. Am 8. Juli 2020 fanden die Plädoyers im Verfahren gegen den 64jährigen Historiker Jurij Dmitriev statt, der durch seine Forschungen zu den stalinistischen Repressionen in seiner Heimatregion bekannt geworden ist. Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Haft in einer Strafkolonie strengen Regimes.

Erklärung von Memorial International

 

Der zweite Prozess gegen den Historiker und Leiter von Memorial Karelien, unseren Freund und Kollegen Jurij Dmitriev, steht vor dem Abschluss.

Jurij Dmitriev hat die Namen vieler tausend Menschen, Opfer des politischen Staatsterrors in unserem Lande, aus dem Vergessen zurückgeholt. Seit mehr als dreißig Jahren forscht er zur Geschichte des GULAG in Karelien. Sein Beitrag zur Recherche nach Massengräbern von Opfern des stalinistischen Terrors in Sandarmoch und Krasnyj Bor ist von unschätzbarem Wert. An diesen Orten finden jetzt alljährlich Gedenkveranstaltungen statt, mit zahlreichen Besuchern aus dem In- und Ausland.

Heute begannen im Prozess gegen Jurij Dmitriev die Plädoyers, die morgen (8. Juli) fortgesetzt werden.

Die Anklagevertretung hat eine Haftstrafe von 15 Jahren strengen Regimes für Dmitriev beantragt. Wann das Urteil erfolgt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht bekannt.

7. Juli 2020 

 

 

Im Januar dieses Jahres, kurz vor dem zunächst im Februar erwarteten Ende des Prozesses gegen Jurij Dmitriev, wurde nachstehende Petition an Präsident Putin gerichtet, unterzeichnet von über 100 Personen. Wir bringen die deutsche Übersetzung.

 

Sehr geehrter Herr Präsident,

wir möchten hiermit unsere ernsthafte Sorge aus Anlass des Strafverfahrens gegen Jurij Dmitriev zum Ausdruck bringen. Der Historiker aus Karelien ist durch seinen herausragenden Beitrag zur Bewahrung der Erinnerung an die Opfer stalinistischer Repressionen bekannt geworden. Parallel zu dem Verfahren gegen Dmitriev gibt es Versuche, die Geschichte des Gedenk-Friedhofs Sandarmoch umzuschreiben.

Berlin, 26.06.2020. Mit dem Talk-Podcast „MEMORIAL Deutschland – Im Gespräch" startet die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL Deutschland ein neues Audio-Format über deutsch-russische Themen und zur Lage der Menschenrechte in Russland.
 
Der Gesprächspodcast bietet neben Hintergrundwissen und neuen Erkenntnissen zur aktuell angespannten Lage im deutsch-russischen Verhältnis, zur schwierigen Situation für Bürgerrechtler und zur Lage der freien Meinungsäußerung in Russland auch einen Einblick in die vielseitige MEMORIAL-Projektarbeit mit Partnerorganisationen in Russland.

Herta Müller, Svetlana Alexievich und Jonathan Littell bitten um Solidarität mit Jurij Dmitriev

 

Nachstehend der Appell in deutscher Übersetzung.

 

Sehr geehrte Frau Mijatović,

wir sind in großer Sorge um das Leben und das Schicksal des russischen Historikers Jurij Dmitriev. Dmitriev ist ein bedeutender GULAG-Forscher, er hat die Stalinsche Hinrichtungsstätte in Sandarmoch (Republik Karelien, Russland) entdeckt. Sein Strafverfahren wird derzeit vor dem Stadtgericht in Petrozavodsk verhandelt.

Viktor Filinkov und Julij Bojarschinov sind im Petersburger Verfahren „Set“ [Netzwerk] am 22. Juni verurteilt worden. Filinkov muss für sieben Jahre, Bojarschinov für fünf Jahre und sechs Monate in Haft. Beide wurden wegen Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung [Art. 205.4 Teil 2 StGB RF], Julij Bojarschinov zusätzlich wegen illegaler Aufbewahrung von Sprengstoff [Art. 222.1 Teil 1 StGB RF] verurteilt. Im gleichnamigen Verfahren waren im Februar 2020 in der Stadt Pensa bereits 7 junge Männer zu Lagerhaft zwischen sechs und achtzehn Jahren verurteilt worden.

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