Nachdem im Februar 2020 im Verfahren „Set“ [Netzwerk] in der Stadt Pensa bereits mehrere junge Menschen wegen Organisation einer terroristischen Vereinigung bzw. Teilnahme an einer solchen zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, hat nun die Staatsanwaltschaft in St. Petersburg im dortigen Prozess gegen weitere Angeklagte ebenfalls hohe Haftstrafen gefordert.

So verlangt die Anklage für Viktor Filinkov neun Jahre, für Julij Bojarschinov sechs Jahr Lagerhaft. Des weiteren verkündete der Staatsanwalt keinerlei überzeugende Belege für körperlichen oder psychischen Druck von Seiten des FSB gefunden zu haben. Sowohl Filinkov als auch Bojarschinov hatten von Folter, unter anderem mit Strom, berichtet; im gesamten Verfahren „Set“ waren Geständnisse durch Folter erpresst worden. Memorial hat alle bislang Verurteilten als politische Gefangene anerkannt. Das Urteil soll am 22. Juni verkündet werden.

19. Juni 2020

 

Interview mit Anatolij Razumov

 

Im Juni soll der nächste Verhandlungstag im Verfahren gegen Jurij Dmitriev,  Leiter von Memorial Karelien, stattfinden, dessen Verfolgung nach der Meinung vieler internationaler Organisationen in Zusammenhang mit seiner professionellen Tätigkeit steht und für dessen sofortige Freilassung sich russische und internationale Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Wissenschaftler derzeit ebenso einsetzen wie die Europäische Union und Großbritannien. Anatolij Razumov, Historiker, Leiter des Zentrums 'Vosvraschtschennye imena' [Zurückgegebene Namen] und Zeuge der Verteidigung im Prozess spricht im Interview mit der Deutschen Welle über das Verfahren gegen Jurij Dmitriev und darüber, warum die Regierung eine Wiederherstellung der Erinnerung an die Opfer der Repressionen nicht will. Wir bringen das am 1. Juni bei der Deutschen Welle erschienene Interview in Übersetzung.

Mahnwachen zur Unterstützung von Ilja Azar

 

Bei Einzelkundgebungen in Moskau sind am 28. Mai mehrere Journalisten und Aktivisten verhaftet worden, darunter Tatjana Felgengauer und Aleksandr Pljuschtschev (Echo Moskvy), Sergej Smirnov (Mediazona), Anastasia Lotareva, (Takie Dela), Michail Fischman (Telekanal Doshd), Viktoria Ivleva und die Schriftstellerin Alisa Ganieva. Die Journalisten hatten sich einzeln der Reihe nach mit Plakaten zur Unterstützung ihres Journalistenkollegen Ilja Azar vor dem Hauptgebäude des Innenministeriums platziert und waren dabei unmittelbar festgenommen worden. Ilja Azar, Journalist bei der Novaja Gazeta und Städtischer Abgeordneter, war am Morgen des 28. Mai verhaftet und wegen wiederholter Verletzung des Versammlungsrechts zu 15 Tagen Haft verurteilt worden.

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir hier ein am 14. Mai erschienenes Interview von Vladimir Lionter mit Sergej Krivenko in deutscher Übersetzung. Sergej Krivenko ist Leiter der NGO "Grazhdanin i armija" (Bürger und Armee), die sich für die Rechte Zivildienstleistender und Wehrpflichtiger einsetzt; er ist Mitglied im Vorstand von Memorial International und seit 2011 Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe. 

 

Am 12. Mai wurde die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands 44 Jahre alt. Entstanden während der Epoche der Verfolgung von Dissidenten, als nur eine einzige Meinung – die der herrschenden Elite – als die richtige galt, verteidigt die Moskauer Helsinki Gruppe auch in den heutigen, unruhigen Zeiten weiterhin die vom Staat verletzten Rechte der Bürger.

 

Gegründet wurde die Organisation von elf Menschenrechtsaktivisten unter der Leitung des sowjetischen Physikers Jurij Orlov (geb. 1924) mit dem Ziel, die Einhaltung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu fördern, die vom 30. Juli bzw. 1 August .1975 von 35 Ländern in der Hauptstadt Finnlands Helsinki unterschrieben wurde. Von Anbeginn an waren die Mitglieder der Moskauer Helsinki Gruppe beständig Verfolgungen durch die sowjetischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt. Ein großer Teil der Aktivisten wurde zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen verurteilt oder in die Verbannung geschickt. Sechs wies man aus der UdSSR aus und entzog ihnen die Staatsangehörigkeit.

Ljudmila Ulizkaja setzt sich schon lange aktiv und öffentlich für Jurij Dmitriev ein. Im nachstehenden Interview mit Jevgenija Tschirikova äußert sie sich zum Schicksal Dmitrievs, zurTaktik der Verteidigung eines Menschen, der wegen eines der schmutzigsten Paragraphen des Strafgesetzbuches angeklagt wird, und dazu, dass es keine Möglichkeit gibt, die eigene Unschuld öffentlich zu beweisen.

Der Prozess gegen Dmitriev dauert an. Der nächste Verhandlungstermin soll am 3. Juni stattfinden (nachdem der Termin mehrere Male wegen der Covid-19-Pandemie abgeetzt worden war).

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