Bericht eines Einwohners aus Moschtschun


Oleksij Sydorenko


Mykola Andrijovytsch Kostenko wohnt im Dorf Moschtschun im Gebiet Kyjiv. Im März 2022 war es in dieser Gegend die wahre Hölle.


Mykola Kostenko, Moschtschun

 

Mykola Kostenko wohnt inMoschtschun in der Lisna-Straße.


Hätten Sie gedacht, dass es Krieg geben könnte?

Ich habe das schon seit 2014 erwartet. Ich dachte wirklich, dass sie noch weiter gehen würden. Denn ich habe keine Serien geschaut, ich habe Nachrichten gelesen, habe alles verglichen. Ich wusste, dass sie weitergehen würden. Ich hatte allen gesagt, sie werden kommen.

Haben Sie sich auf den Krieg vorbereitet?

Nun, wir haben schon am 24. unseren Notfallkoffer gepackt und die Dokumente. Als ich aufwachte, wusste ich noch nichts vom Krieg. Ich erfuhr es, als schon Hubschrauber heranflogen. Kinder und Frauen standen da und schauten zu, wie sie seitwärts vorbeiflogen. Ein Russe stand mit einem Maschinengewehr da und sah zu. Ich jagte die Dorfbewohner von der Straße, damit sie weglaufen konnten und sich verstecken. Die Hubschrauber flogen nach Hostomel. Sie warfen Bomben, wollten eine Truppenlandung durchführen. Ich zählte ungefähr fünfzehn, sechzehn Hubschrauber. Zuerst flogen sie über das Dorf, dann über den Wald.

Was haben Sie unternommen?

Was wir wirklich getan haben? Betten in den Keller getragen. Bei uns im Keller haben sich drei Familien versteckt. Ehefrau, Tochter, Schwiegersohn, Enkel, Enkelin. Alle waren im Keller. Von Zeit zu Zeit, wenn es keinen Beschuss gab, gingen sie nach draußen. Ich persönlich habe mich nicht im Keller versteckt.

Wie häufig gab es Beschuss?

Sehr oft. Und in den letzten Tagen war es überhaupt grauenvoll. Die Frauen fuhren weg, aber wir blieben dort. Die Jungs halfen der 72. Brigade, transportierten Waffen, sprengten Brücken, und ich habe mich um den Haushalt gekümmert: Tee und dies und das. Tag und Nacht flogen einem Drohnen über den Kopf. Bis zum Schluss haben wir im Haus geschlafen.

An Evakuierung haben Sie nicht gedacht?

Nein. Daran habe ich nicht gedacht und mich auch nicht evakuieren lassen. Ich hätte eine Waffe in die Hand genommen und wäre losgezogen, sie zu verprügeln. Zu töten! Ich hasse sie.

Mykola schickte seine Familie Anfang März an einen sicheren Ort und blieb selbst im Dorf.

Sie begannen mit intensivem Beschuss. Bombardierten. Beschossen uns mit Raketen. Bekannte kamen von der Datscha und brachten die Familie weg. Zuerst nach Myronivka, dann weiter nach Tschervonohrad, in der Nähe von Lviv. Wir schickten sie weg, aber wir blieben dort.

Wann wurde Ihr Haus beschossen?

Das war irgendwann vom vierten, fünften, sechsten, siebten bis zum neunten, zehnten des Monats. Ich bin da noch nach Puschtscha gegangen, habe ein bisschen dazu verdient. Habe einen Tag gearbeitet und bin dann zurück hierher. Ich habe dort eine Weile Wache gehalten. Drei Tage war ich dort, habe den Jungs Tee aufgewärmt. Sie kamen mit Soldaten hierher. Ich machte ihnen Tee und Kaffee. Ich habe einen Freund, der hier mit den Jungs im Bunker war. Ich habe eine Werkstatt hinter dem Haus. Zuerst schlug es dort ein, dann ins Haus. Danach in das Haus meines Bruders und ins Nachbarhaus. Das passierte innerhalb von 10 – 15 Minuten. Ich ging nachsehen … . Tja, was ich empfunden habe? Verzweiflung, Zorn. Was für Gefühle soll man da haben? Meine Kinder und Enkelkinder ziehen jetzt umher von einem zum anderen.

Erzählen Sie von Ihrem Haus.

Es ist zweistöckig. Was es dort gab? Einen Gefrierschrank, einen Kühlschrank, vier Fernseher, einen Boiler, eine Badewanne, Computer und Notebook. Meine Tochter bäckt gern, wir hatten alle möglichen Backgeräte, für alles. Alles eben, was eine normale Familie hat, das hatten wir auch. Jede Menge Technik. Bei mir sind sehr viel Werkzeuge verbrannt.

Ist die Werkstatt heil geblieben?

Nein, nein! Nur die Wände stehen noch. Da ist nichts mehr, alles leer.

Erzählen Sie von Verbrechen der Russen gegen die Zivilbevölkerung.

Beim Beschuss töteten sie zuerst Saschko Topal. Durch eine Mine. Er wollte seine Mutter raus bringen, das Auto war geparkt. Er sagte, dass er das Auto holen geht, lief zum Tor und es gab eine Explosion. Ich habe gesehen, wie sie ihn getötet haben. Ich ging los und sammelte Saschko mit der Schaufel ein.

Vasyl Vasyljovytsch kam aus dem Keller, ein Geschoss explodierte und ein Splitter tötete ihn.

Kosteniuk wurde von den Russen erschossen, sie kamen und eine Frau wurde von einem Splitter getroffen. Er rannte los, sie zielten auf ihn und … . Das war's, sie haben ihn erschossen.

Slavko Shvez saß im Keller. Die Russen haben ihn direkt im Keller erschossen.

Da in der Straße … Mykola … . Sie haben ihn tot im Bett gefunden, sie haben ihn auch getötet. Sind wahrscheinlich reingegangen und … .

Als ich kam (ich glaube, das war am 9.) lagen hier sehr viele Leichen von diesen Orks. Weiter da vorn, da waren sehr viele. Ich kam, fotografierte das Haus meiner Schwiegermutter, das war im selben Zustand, und ich schaute nach unten auf meine Füße, um nicht auf Minen zu treten. Ich fotografierte und ging. Dann bin ich wieder zurückgegangen, um den Hund zu füttern und sehe, dass alles voller Polizisten ist. Sie riefen mich heran, da lag ein toter Ork. Ich hatte ihn gar nicht gesehen. Als ich das letzte Mal da war, hatte ich einfach nicht in diese Richtung geschaut … . Ich weiß nicht, wie es hier im Dorf war, weil alles hier zerstört ist, aber sie waren bei den Datschen. Und haben dort gewohnt. Burjaten und Kadyrov-Leute waren auch da. Es gibt Leute, die sie gesehen haben. Ich persönlich habe sie gesehen.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Wiederaufbauen, leben, mit den Kindern und Enkelkindern.

Hat sich Ihre Haltung den Russen gegenüber verändert?

Die hat sich schon 2015 verändert. Meine Mutter ist Russin. In Russland in Saratov lebt meine Cousine, 2015 sagte sie, dass ihre Streitkräfte kommen werden, und dass sie kommen werden, mich zu beschützen. Danach habe ich den Kontakt zu ihr abgebrochen.

Haben Sie nach wie vor keinen Kontakt?

Nein! Das sind für mich keine Menschen! Das ist eine Horde! Schlimmer noch als eine Horde!

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

 

Ein Video-Interview mit Mykola Kostenko finden Sie hier.

 

Das Projekt wird vom Prague Civil Society Centre gefördert. Informationen zum Projekt finden Sie hier.


25. Juli 2023

 

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