Das Stadtgericht Petrozavodsk hat am 5. April Jurij Dmitriev vom Vorwurf der Pornographie freigesprochen, ihn jedoch wegen unerlaubtem Waffenbesitz zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Unter Anrechnung der in Untersuchungshaft verbrachten Zeit steht Dmitriev nun damit noch faktisch drei Monate unter gerichtlicher Aufsicht und muss nicht ins Gefängnis zurück. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft neun Jahre Haft (in strengem Regime) wegen angeblicher Kinderpornographie beantragt. Dmitriev wurde das Recht auf Rehabilitation zuerkannt.

Wir erinnern daran, das Dmitriev seit vielen Jahren die Geschichte des sowjetischen Terrors in Karelien erforscht. Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass die Namen von über 13.000 Opfern ermittelt und in einem Gedenkbuch verzeichnet wurden. Sein Name ist außerdem vor allem mit der Gedenkstätte Sandormoch bei Medvezhegorsk verbunden, wo während der Zeit des Großen Terrors Tausende von Menschen erschossen wurden.

 

6. April 2018

Erklärung des Menschenrechtszentrums Memorial

„Am 28. März 2018 wurde der Leiter des Menschenrechtszentrum Memorial in Machatschkala Sirashutdin Daziev von einem Unbekannten überfallen. Gegen 9:30 Uhr am Morgen verließ Daziev sein Haus in der S. Aruchov Straße in Machatschkala, um zur Arbeit zu gehen. Nicht weit von seinem Haus stand ein Wagen der Marke Lada Priora mit abgedunkelten Fenstern. Als er an dem Auto vorbeiging, hörte er von hinten Schritte, dann verspürte er einen festen Schlag auf den Kopf mit einem unbekannten Gegenstand. Er stürzte, konnte jedoch – obwohl er das Bewusstsein nicht verlor – den Kopf nicht heben, so dass er den Angreifer nicht sah. Eine zufällige Zeugin erzählte Daziev später, dass aus dem Lada mit den abgedunkelten Fenstern ein Mann herausgesprungen sei, ihn eingeholt und auf den Kopf geschlagen habe, dann zu dem Wagen zurückgelaufen, eingestiegen und weggefahren sei. Daziev gelangte selbständig nach Hause. Der dorthin gerufene Rettungswagen brachte ihn in die Neurochirurgische Abteilung des Klinischen Krankenhauses der Republik.

Wir sind der Meinung, dass der Überfall auf Sirashutdin Daziev in Zusammenhang mit seiner beruflichen Aktivität steht.

Wir erinnern, dass in der Nacht auf den 23. Januar 2018 das Auto der Vertretung von Memorial in Machatschkala angezündet wurde und an dem Tag selbst auf dem Mobiltelefon der Vertretung ein Telefonanruf und eine SMS eingingen, in denen man drohte, die Memorial-Mitarbeiter zusammen mit dem Büro anzuzünden.“

Das Menschenrechtszentrum Memorial hat sich in Zusammenhang mit dem Angriff auf Daziev an die Ermittlungsbehörden der Republik Dagestan gewendet. Memorial ersucht die Behörden, den Überfall, die vorhergehenden Drohungen und die In-Brandsetzung des Wagens der Vertretung zu untersuchen, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und Maßnahmen zum Schutz der Memorial-Mitarbeiter in Dagestan zu ergreifen.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muižnieks hat den Angriff auf Daziev bereits entschieden verurteilt und die russische Regierung aufgefordert, sofortige Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechtler zu ergreifen.

 

30. März 2018

 

 

 

 

Der Prozess gegen Jurij Dmitriev steht vor dem Abschluss.

Am 20. März hatte die Staatsanwältin Jelena Askerova neun Jahre Haft (in strengem Regime) für Dmitriev beantragt. Sie hatte die entlastenden Gutachten, zuletzt vom Serbskij-Institut, völlig ignoriert und alle Anklagepunkte - vor allem den wegen angeblicher Pornographie - unverändert aufrecht erhalten.

Inzwischen ist auch der Verteidiger Viktor Anufriev mit seinem Plädoyer aufgetreten, und am 27. März kam Jurij Dmitriev selbst zu Wort. Er wies die Anklage erneut zurück und verlas einen Brief seiner Pflegetochter Natascha, der ihn kürzlich erreicht hatte und in dem sie schreibt, dass sie ihn liebt und sich nach ihm sehnt.

Das Urteil wird,anders als ursprünglich verlautet, am 5. April bekannt gegeben.

 

27. März 2018, update am 2. April 2018

Ein Bericht von Katya Akopyan und Christina Riek

 

Im Oktober und November letztes Jahres fand unsere deutsch-russische Jugendbegegnung gegen Antiziganismus "Vorurteile ins Abseits!" in St. Petersburg und Berlin statt. Zwanzig Jugendliche aus beiden Ländern diskutierten über die Entstehung von Vorurteilen, Stereotypen und Formen der Diskriminierung. Außerdem beschäftigten sie sich mit der Situation von Sinti und Roma in Russland und Deutschland. Andrei Jakimow (Ethnologe aus St. Petersburg) hielt einen Vortrag über die Geschichte und soziale Lage der Roma in Russland. Mit Anastasia Nekosakowa (Memorial St. Petersburg) wurde darüber diskutiert, wie die Lebensumstände von Roma in Russland verbessert werden können. Maria Musatowa vom Roma Education Fund stellte das Stipendienprogramm ihrer Stiftung für Studierende vor. Mit StipendiatInnen konnten sich die TeilnehmerInnen über das Studium und generell über die Situation russischer Roma unterhalten. Im Rahmen eines Workshops konnten die Jugendlichen ihre eignen Projekte entwickeln und sich Maßnahmen zur Unterstützung von Roma überlegen. Außerdem besuchten die TeilnehmerInnen die gemeinnützige Organisation „Nochlezhka“, die obdachlose Menschen in Sankt Petersburg unterstützt und sich für ihre Rechte einsetzt. Hier diskutierten die TeilnehmerInnen mit Mitarbeiterinnen der Organisation über Diskriminierung und Ausgrenzung, die Personen erfahren, die ohne festes Zuhause leben. Zum Abschluss dieser intensiven Woche lernten die TeilnehmerInnen Petersburg auch noch von der Newa aus kennen und lieben!

In der Jugendbildungsstätte Kaubstraße in Berlin nahmen die TeilnehmerInnen dann die deutsche Gesellschaft unter die Lupe und diskutierten, wie Vorurteile entstehen. In unterschiedlichen Übungen lernten die Jugendlichen, wie und warum bestimmte Gruppen diskriminiert werden.

Sie besuchten das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas und befassten sich in der Gedenkstätte Sachsenhausen intensiv mit dem Völkermord. Mit Georgi Ivanov (Amaro Foro e.V.) und Hannah Neumann (Die Grünen) diskutierten die TeilnehmerInnen über aktuell notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von v.a. aus Südosteuropa kommenden Roma. Dotschy Reinhardt (Landesrat der Roma und Sinti RomnoKher Berlin-Brandenburg e.V.) las aus ihrem Buch "Everybody's Gypsy" und berichtete im Anschluss über den Rassismus, der ihr als Sinteza immer wieder widerfährt. Am vorletzten Tag der Begegnung waren die Jugendlichen im Jüdischen Museum, wo sie sich mit jüdischer Kultur und Geschichte sowie mit Migration und Diversität in Deutschland auseinandersetzten. Im Rahmen der Begegnung entstand eine im Studio der "Alten Feuerwache" produzierte Radiosendung, an der alle TeilnehmerInnen begeistert mitarbeiteten. Der Besuch der Kuppel des Reichstagsgebäudes mit Blick über das abendliche Berlin war eines der vielen Highlights dieser spannenden Begegnung!

Die Radiosendung wird gesendet am Ostermontag, 2. April und am Montag, 9. April jeweils um 14 Uhr über Radio Alex und im Live-Stream (https://www.alex-berlin.de/radio/livestream.html).

Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Austausch und Deti Peterburga durchgeführt und von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" und der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch gefördert.

 

30. März 2018

Auf der heutigen Vorstandssitzung von MEMORIAL International wurde Jan Raczynski einstimmig (mit eigener Enthaltung) zum Vorsitzenden gewählt. Er ist der Nachfolger von Arsenij Roginskij, der am 18. Dezember 2017 verstorben war.

 

Jan Raczynskij

 

Jan Raczynski, ursprünglich Mathematiker und Programmierer, war seit Anbeginn Mitglied von MEMORIAL. Er gehört dem Menschenrechtszentrum MEMORIAL an und hat bis in die jüngste Zeit an Menschenrechts-Missionen in Konfliktgebiete teilgenommen. Vor allem aber betreut er die große Datenbank der Opfer des politischen Terrors, deren letzte aktualisierte und neu gestaltete Version Ende letzten Jahres im Internet erschienen ist (die älteren Versionen sind auch als CDs verfügbar).

2016 erschien unter Raczynskis Ägide ein umfangreiches Nachschlagewerk mit Kurzbiographien führender NKWD-Funktionäre der Jahre 1935-1939 (die zur Zeit der Großen Säuberung verantwortliche Posten innehatten).

Jan Raczynski wurde für die verbleibende Amtszeit des derzeitigen Vorstands zum Vorsitzenden gewählt. Ende des Jahres wird auf der Mitgliederversammlung aller MEMORIAL-Verbände (die alle vier Jahre stattfindet) der Vorstand – und damit auch der Vorsitzende – neu bestimmt.

 

22. März 2018

Copyright © 2024 memorial.de. Alle Rechte vorbehalten.
MEMORIAL Deutschland e.V. · Haus der Demokratie und Menschenrechte · Greifswalder Straße 4 · 10405 Berlin
Joomla! ist freie, unter der GNU/GPL-Lizenz veröffentlichte Software.
Back to Top