Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 1.-7.10.2023

Herbstblätter gegen den Krieg

Aufschriften auf den Fotos: „Putin ist ein Mörder #Nein zum Krieg“, „Frieden für die Welt! #Nein zum Krieg“. Keine Mogilisierung (mogila = Grab). Nein zu Putin!“

Anfang Oktober tauchten in Moskau Herbstblätter mit Anti-Kriegs-Parolen auf. Aktivisten bezeichneten diese Art des Protests als „Goldenen Herbst“. Die Fotos veröffentlichte der Telegram-Kanal „#Wach auf!“

 

Die Stadt spricht

 

Aufschrift auf dem Foto: „Alter Besessener“

 

Zum 7. Oktober (Putins Geburtstag) rief die Anti-Kriegsbewegung „Grünes Band“ zu einem  weltweiten Flashmob „Verbrenne ein Putin-Portrait“ auf. Zahlreiche Fotos (aus Moskau, St. Petersburg, Magnitogorsk, Novosibirsk, Jekaterinburg, Archangelsk und Voronezh) tauchten im Telegram-Kanal der Bewegung auf.

 

Aufschriften auf dem 3. und 5. Foto: „Nein zum Krieg!“, auf dem 6. Foto: „Achtung! Das Z auf Ihrem Auto ist FEUERGEFÄHRLICH!“

Die Anti-Kriegsbewegung „Grünes Band“ veröffentlichte Fotos mit Protest-Graffitis aus Tula, Kurgan und St. Petersburg. Auf den Fotos ist das Protestsymbol – ein gebundenes grünes Band - zu sehen.

Leser schicken anonyme Anti-Kriegs-Fotos an den Telegram-Kanal „Partisanenmedien“.

 

Aufschriften auf dem 1. und 2. Foto: „Nein zum Krieg“, auf dem 3. Foto: „STOP PUTIN“.

 

Sticker mit Anti-Kriegs-Agitation aus KasanMoskau, Rostov am Don und Nizhnij Novgorod

 

 

Aufschriften: „Nein zum Krieg“; „Wir haben den Krieg satt“, Nein zum Krieg“, das Böse (der russ. Buchstabe für das stimmhafte s wurde wiederholt durch Z ersetzt), „Putin ist ein Dieb. Nein zum Krieg“ und immer wieder: „Nein zum Krieg“.

 

Die Bewegung „Frühling“ berichtete, dass ihre Flugblätter mit aktuellen Informationen zu Einberufung und Mobilisierung in Tjumen verbreitet wurden.

 


Mahnwachen und Kundgebungen

 


Aufschrift auf dem Plakat: Internationaler Tag der Gewaltlosigkeit“ 
Alexander Pravdin aus Siverskij, Gebiet Leningrad, hielt eine Mahnwache ab mit dem Plakat „Internationaler Tag der Gewaltlosigkeit“.


Georgij Kakabadse in Vladivostok hielt eine Einzelmahnwache ab, um seine Solidarität mit der Journalistin Maria Ponomarenko zu bekunden. Diese war wegen der „Verbreitung von Fakes über die russische Armee“ zu sechs Jahren Strafkolonie im gewöhnlichen Vollzug verurteilt worden.
Im Stadtzentrum von Kaliningrad führte die Novosibirsker Aktivistin Jana Drobnochod eine ihrer regelmäßigen Mahnwachen zur Unterstützung von Maria Ponomarenko durch. Außerdem zeichnete sie einen Video-Appell an Staatsanwalt Krasnov und den Ombudsman der Altaj-Region Vasilev auf, Schritte gegen Mitarbeiter der Kolonie Nr. 6 einzuleiten, die die Journalistin foltern.

 


Aufschrift auf dem Foto: NEIN, NEIN, NEIN zu einer Atomexplosion über Sibirien Ein Einwohner von Novosibirsk hielt am 7. Oktober eine Einzelmahnwache gegen eine Atomexplosion über Sibirien ab, wie sie von der Propagandistin Margarita Simonjan vorgeschlagen worden war.

 

In Saratov führte Andrej Kalaschnikov auf dem Kirov-Platz eine Mahnwache durch mit Portraits der politischen Gefangenen Lilija Tschanyscheva, Alexej Gorinov, Viktoria Petrova und Vladislav Sinizy.

Ein Einwohner von Jevpatorija (Krim) ging mit einem Anti-Kriegs-Polohemd den Strand entlang und rief den vorbeifahrenden Autos Losungen hinterher, die gesetzlich verboten sind. Er wurde für zwei Wochen inhaftiert und mit einer Geldstrafe von 50.000 Rubeln belegt (3 monatliche Mindestlöhne).

Der 77-jährige Petr Suev versah seine Kleidung mit einem Aufkleber „Nein zum Krieg“ und begab sich auf den Platz des Sieges in Kaliningrad. Die Polizei nahm ihn fest, ließ ihn aber nach einer Verwarnung wieder frei.

 

Sabotage

Der anonyme Telegram-Kanal Skrepatsch veröffentlichte die Nachricht, dass in der „Industriezone auf dem linken Ufer in Rostov am Don ein Lager von (Militär)uniformen zerstört worden sei. Die Autoren des Kanals fügten hinzu: „Alles wird brennen, was für den Krieg vorbreitet wurde.“ Der Kanal war am 24. Juli eingerichtet worden. Er rief dazu auf, Widerstand gegen die Militäroperation in der Ukraine zu leisten, und veröffentlichte Posts über Widerstand gegen die Einberufung sowie über Brandstiftungen bei Rekrutierungszentren in verschiedenen russischen Städten.

In Syktyvkar (Republik Komi) haben Unbekannte versucht, ein Umspannwerk eines staatlichen Unternehmens in Brand zu setzen, das für die Flugsicherheit auf dem internationalen Flughafen von Syktyvkar sorgt. In dem Umspannwerk befinden sich die Steuereinheiten für die Baken und die elektronische Schalttafel.

Unbekannte haben versucht, neben der Strecke von Snegiri nach Manichino im Bezirk Istra, Gebiet Moskau, ein Umspannwerk in Brand zu setzen. Sicherheitspersonal stellte fest, dass dort zwei Relaisschränke beschädigt waren.

Sicherheitsorgane haben in Rybzovsk (Region Altaj) einen 35-jährigen Mann festgenommen. Bei einer Haussuchung beschlagnahmten sie 1,5 kg Sprengstoff. Nach Auskunft des FSB war der Festgenommene angeblich 2022 in leine „verbotene proukrainische Organisation“ eingetreten.. Ein Strafverfahren wurde eingeleitet wegen Vorbereitung eines Terrorakts und der illegalen Aufbewahrung von Sprengstoff.

 

Verfolgungen

In Petropavlovsk-Kamtschatsk kritisierte die Lehrerin Vasilija Verschinina im September die Geldsammlungen für die russische Armee. Mitarbeiter des Zentrums „E“ (Extremismus) nahmen sie unmittelbar während ´des Schulunterrichts und beschuldigten sie nicht nur der „Diskreditierung der Armee“, sondern auch, Widerstand geleistet zu haben. Am 21. September wurde sie zu 2.000 Rubeln Geldstrafe verurteilt. Die Leitung der Schüler zwang die Lehrerin zu kündigen, aber nach zahlreichen Anrufen von Eltern wurde sie am 2. Oktober wieder in ihrer Stellung eingesetzt.

Der 63-jährige Konstantin Seleznev aus Moskau wurde wegen zweier Posts in den sozialen Netzen festgenommen.  Am 3. Oktober beschuldigte man ihn der „Fakes über die Armee“. In einem Post in „Vkonktakte“ hatte er seinen Brief an den russischen Staatsanwalt gepostet, in dem er über die Untersuchung von Journalisten der New York Times über die Ereignisse in Butscha berichtete. Einen anderen Post hatte er mit den Worten eingeleitet: „Brief an Putin als an den Führer eines Terror-Staats“.

Am 3. Oktober erstellten Polizisten ein Protokoll gegen den burjatischen Regisseur Artem Burlov wegen „Diskreditierung der Armee“. Zuvor hatte er einen Post über den Tod eines Mobilisierten verfasst: „Landsleute, innerlich verderbte Funktionäre, deren Kinder sich im Ausland verstecken, schicken uns auf die Schlachtbank!“


Online-Proteste

Am 5. Oktober begannen anonyme Zuschauer, unter einer der Online-Übertragungen der Diskussionen des „Valdaj“-Klubs bei „Sputnik“ massenweise Kommentare zu posten mit der Forderung, die Mobilisierten nach Hause zu entlassen.

 

Kultur
 

Der Aktionskünstler und ehemalige Lehrer Vladislav Bochan organisierte einen Prank. Im Namen der Regionalabteilung von „Einiges Russland“ stellte er Lehrern in Schulen von Kaluga die Aufgabe, Putin zu seinem bevorstehenden Geburtstag zu gratulieren. Er verschickte Schablonen von Plakaten mit Fotos des Führers der ukrainischen nationalistischen Bewegung Stepan Bandera und Aussprüchen von ihm. Die Lehrer erfüllten die Aufgabe, schickten Bochan entsprechende Berichte zu und platzierten sie in den Gruppen der Schulen in sozialen Netzen.

 


Aufschrift auf dem Foto: „Diese Nacht ist länger als die Polarnacht“

Der Künstler mit dem Codenamen FFCHW veröffentlichte ein Werk gegen den Krieg „VERDUNKELUNG“.

Eine Unmenge kleiner gebohrter Löcher ergeben zusammen den Satz: „Diese Nacht ist länge als die Polarnacht“. Im Hintergrund sieht man keine chaotischen Öffnungen, sondern eine Karte des Sternenhimmels über der Ukraine. Der Künstler schrieb:  „Zuerst war der Tag, und dann kam die Nacht, die Nacht auf den 24. Februar, die jetzt schon ganze 581 Tage andauert…“

 


Aufschrift auf dem Foto: „Russland – das ist Putin, Putin ist Russland.“

Die unabhängigen Künstler und Literaten Father, Son und Holy Spirit führten in St. Petersburg zu Putins Geburtstag eine „Toilettenausstellung“ durch. Sie kommentierten sie so: „Wie wir sehen, haben die Russen sich mit dem Raschismus abgefunden und leben ruhig darin, sie dulden ihren Diktator und haben sich an die neue Realität angepasst. Jeden Tag lese ich, wie viele Ukrainer umgekommen sind, wie viele Häuser zerstört wurden…. Es ist unmöglich, das zu akzeptieren, aber es zu ändern und zu beenden fehlt die Kraft, und die meisten Russen verhalten sich dieser Situation gegenüber vollkommen gleichgültig.

 

Mahnmale

 

Zahlreiche Blumengebinde tauchten in Moskau beim Lesja-Ukrainka-Denkmal auf dem Ukrainischen Boulevard auf zum Gedenken an die Menschen, die in Hrosa im Gebiet Charkiv, getötet wurden. Arbeiter der kommunalen Dienste entfernen die Blumen, aber es tauchen immer wieder neue auf, mit gelben und blauen Bändern zusammengebunden. Auch Moskauer brachten Süßigkeiten zum Gedenken an die Kinder, die im Gebiet Charkiv getötet wurden.

In St. Petersburg bringen die Einwohner Blumen zum Taras-Schevtschenko-Denkmal.

 

Sonstiges

 

Das Team von „Aktivatika“ verzeichnete im September 309 Protestaktionen.

An erster Stelle standen Aktionen gegen staatliche Gewalt (83 Aktionen), an zweiter Aktionen gegen den Krieg (56), an dritter ökologische (45). Die Proteste gegen Verfolgungen sowie gegen den Krieg haben im Vergleich zu den Sommermonaten zugenommen. Eine große Plattform für politische Äußerungen waren im September die Wahlscheine. Darauf wurden Anti-Kriegs-Losungen geschrieben, man rief dazu auf, die Truppen aus der Ukraine abzuziehen und die Mobilisierten nach Hause zu entlassen, man forderte die Freilassujng politischer Gefangener und hinterließ unfreundliche Botschaften An Vladimir Putin und regimetreue Kandidaten. Die meisten dieser Aktionen wurden in Moskau verzeichnet (49), in der Region Chabarovsk (37 und in St. Petersburg (33). Unter den Regionen mit den meisten Protesten waren im September auch das Gebiet Novosibirsk (14 Aktionen), Dagestan und das Gebiet Sverdlovsk (je 13 Aktionen) sowie das Gebiet Pensa (12 Aktionen).

Mediazona veröffentlichte zum Oktober 2023 eine Statistik über Sabotage-Verfahren. Betroffen waren 137 Personen. Ein Drittel der Angeklagten waren Minderjährige, ein weiteres Drittel Personen im Alter von 18 bis 20 Jahren, und lediglich 17 Personen waren über 35 Jahre alt. Die meisten Angeklagten befinden sich in oder in der Umgebung von Moskau (14), im Gebiet Tscheljabinsk (13) und Baschkortostan (10). Auf der Krim und in Petersburg gab es je sechs Angeklagte. In den frontnahen Gebieten Belgorod und Brjansk wurden je zwei Personen angeklagt. Wie Mediazona anmerkt, gibt es über die Verfahren sehr wenig Informationen, weil die Namen der „Saboteure“ bei den Gerichten gewöhnlich unter Geheimhaltung stehen und die Angehörigen sich davor fürchten, mit Journalisten zu kommunizieren.

Übersetzung: Vera Ammer

30. November 2023

 

 

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