Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 17.9. - 24.9.2023

 

Die Stadt spricht

„Der Krieg tötet Russland“ und „Nein zum Krieg“, wegen dieser Aufkleber wurde der Moskauer Aleksandr Skorov, der Anfang September vor dem Gebäude der Staatsduma festgenommen worden war, zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht verhängte eine Strafe in Höhe von 50.000 Rubeln (3 monatl. Mindestlöhne).


Roman Super veröffentlicht in seinem Telegram-Kanal Fotos von Anti-Kriegsinstallationen und -graffitis aus verschiedenen Städten Russlands.

 


„Nein zum Krieg“

 


„Wahnsinn. Frieden für die Ukraine. Freiheit für Russland von der Diktatur.“ [Das russische Wort für Wahnsinn wurde anstelle des korrekten Buchstabens S mit dem Propaganda-Zeichen Z geschrieben.]

 

 
Aufschrift auf dem Asphalt: „Wir wollen Frieden. Stoppt den Krieg“

 

 
„Frieden für alle“

 

Einzelkundgebungen

 

Am 17. September führten Vitalij Joffe und Marina Zavgorodneva auf dem Lenin-Platz eine Einzelkundgebung zur Unterstützung politischer Häftlinge und gegen den Krieg durch. Sie wurden festgenommen. Auf dem Plakat von Vitalij stand:

„Freiheit für politische Häftlinge
Krieg – dem Faschismus
aber
[in etwa] Fick den Krieg“

 

Am 17. September hielt Jevgenij Aleksandrov in Tscheljabinsk eine Einzelkundgebung mit dem Plakat „Nein zum Krieg“ ab. Er wurde festgenommen und nach Aufnahme eines Protokolls wegen „Diskreditierung der Armee“ wieder freigelassen. 

 

 

Ein Bewohner der Stadt Perm führte mit dem Plakat „Nein zum Krieg! Jedes Leben ist wichtig“ eine Einzelkundgebung durch. Das Foto der Aktion wurde im Kanal „Perm 36,6 GEGEN KRIEG“ am 25. September veröffentlicht.


In Perm ging der 77-jährige Viktor Gilin am 21. September zum Verwaltungsgebäude mit einem zweiseitig beschriebenen Plakat. Auf der einen Seite stand: „Frieden ist das Leben, von dem jeder nur eines hat. Auf der anderen Seite stand ein Zitat Putins: „Aber unser Ziel ist es ja nicht, das Schwungrad dieses militärischen Konfliktes anzutreiben, sondern im Gegenteil diesen Konflikt zu beenden: Danach streben wir und werden wir streben.“ Er wurde festgenommen und später wieder freigelassen. 

 

Am 21. September hielt der Aktivist Sergej Marin in Saransk eine Einzelkundgebung ab mit dem Plakat: „Freiheit des Wortes. Ukraine. Putin. Krieg.“ Die Polizei nahm ihn während seiner Kundgebung nicht fest, notierte aber seine Passdaten und kam später zu ihm nach Hause. Marin wurde festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht. Der Aktivist war bereits im März 2022 wegen eines Posts mit dem Aufruf an Anti-Kriegsaktionen teilzunehmen, verhaftet worden.

 

Am 20. September ging Valerij Mankevitsch in Perm mit dem Plakat „#Ruhm der Ukraine! #Nein zum Krieg! #[in etwa] Fick den Krieg!“ zum Einkaufszentrum „ZUM“ ins Stadtzentrum, um eine Einzelkundgebung abzuhalten. Am nächsten Tag kamen Mitarbeiter des Zentrums E [Zentrum zur Bekämpfung des Extremismus] zu ihm nach Hause und brachten ihn zur Polizeiwache, wo sie versuchten, Angaben zum Privatleben von Mankevitsch zu erhalten. Später brachte man ihn zur Polizeidienststelle Nr. 6, wo man ihn nach der Erstellung eines Protokolls wegen „Diskreditierung der Armee“ wieder nach Hause entließ.  

 

 

Sabotage

Der Telegram-Kanal Vaza teilte ohne Angabe von Quellen mit, dass am 24. September gegen sieben Uhr morgens unweit von der Station Krymskaja in der Region Krasnodar zwei Relaisschränke angezündet wurden. Ein Unbekannter hatte außerdem einen Reserve-Batterieschrank in Brand gesetzt. Das Feuer wurde schnell bemerkt, doch der Brandstifter konnte entkommen. Die Brandstiftung beeinträchtigte die Fahrt zweier Passagierzüge, Adler – Anapa und St. Petersburg – Novorossisk, die Züge verspäteten sich um einige Minuten.

Wegen des Verdachts der versuchten Brandstiftung an einem militärischen Rekrutierungszentrum wurden im Gebiet Rostov zwei Personen festgenommen, teilt die Zeitung „Argumenty i Fakty“ unter Berufung auf den FSB mit. 

 

Sonstiges 

In dem Dorf Pavlo-Fedorovka in der Region Primorje haben Einwohner eine Gedenkallee angelegt, die am 24. September feierlich eingeweiht werden sollte. In der Nacht zerschlugen Unbekannte die Sockel, bemalten sie und schrieben auf den Beton: „Für die Kinder der Ukraine“.

Aleksandr Gorelov, Aktivist aus Nizhnij Novgorod, ist wegen „Diskreditierung der Armee“ zu einer Geldstrafe von 40.000 Rubeln (2,5 monatl. Mindestlöhne) verurteilt worden, weil er die Aufschrift „Nein zum Krieg“ auf seinem Auto hatte. 

 

„Ich bin Ukrainer, Ruhm, Ruhm, Ruhm der Ukraine, ich bin für die Ukraine, die Unsrigen werden gewinnen.“ Leonid Buschujev aus Jakutsk wurde für diese Worte, die er nach Angaben der Polizei um zwei Uhr nachts auf dem Flughafen von Jakutsk ausgesprochen haben soll, zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubeln (1,8 monatl. Mindestlöhne) verurteilt. Das Gericht hatte ihn am 1. September für schuldig befunden, die Streitkräfte „diskreditiert“ zu haben.

 

Verfolgungen 

Die Anklage gegen Polina Jevtuschenko, 25, die im Juli 2023 wegen „Vorbereitung zum Staatsverrat“ und „Aufrufen zum Terrorismus“ verhaftet worden war, wurde verschärft. Nun klagt man sie zusätzlich wegen „Finanzierung von Terrorismus“ an. Eine Woche nach dem Beginn der vollumfänglichen Invasion postete die junge Frau bei Instagram den Link zu einer Petition für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Putin. Sie veröffentlichte mehrfach Fotos von Geldscheinen mit Anti-Kriegsparolen und schrieb außerdem Posts, die der Legion „Freiheit für Russland“ gewidmet waren. Nach Beginn der Mobilisierung im September vergangenen Jahres veröffentlichte Polina eine Anweisung für Soldaten, wie man sich in Gefangenschaft begibt. Der FSB kam zu dem Schluss, dass die Frau in ihren Posts „Propaganda-Arbeit geleistet“ und „propagandistisches Material verbreitet habe, das ein positives Bild der strukturellen Einheiten der Ukrainischen Armee vermittelt.“

Das Bezirksgericht Sverdlovsk in Belgorod hat den 28-jährigen Kaliningrader Ilja Tsch., der verdächtigt wird, eine Installation in Form des Buchstabens Z in Brand gesetzt zu haben, bis zum 19. November in Untersuchungshaft genommen. Der junge Mann wurde am 19. September festgenommen, in den Wald gebracht und gefoltert, später wurde bei der Durchsuchung seiner Wohnung angeblich Sprengstoff gefunden. Laut Ilja drückten ihm die Ordnungskräfte, während sie ihn schlugen, Gegenstände in die Hand, die wie eine Granate und Sprengstoff aussahen und angeblich in seiner Wohnung gefunden wurden.

Die Millionenstrafe (62,5 monatl. Mindestlöhne) gegen den pensionierten Oberstleutnant Viktor Lavrentev aus Tomsk im Verfahren wegen militärischen „Falschmeldungen“ wurde vom Gericht bestätigt. Dem ehemaligen Angehörigen der Sicherheitskräfte wurden Posts über den Beschuss einer Geburtsklinik in Mariupol zur Last gelegt.

Das Gericht erhielt eine Klage auf der Grundlage dreier Paragraphen gegen Michail Zharikov, einen ehemaligen Angestellten des Hockeyclubs von Nizhnij Novgorod. Ihm wird vorgeworfen, „Falschmeldungen“ über die Armee verbreitet zu haben, Terrorismus zu rechtfertigen und den Nazismus zu rehabilitieren. Die Anklage stützt sich auf Beiträge auf Instagram und bei VKontakte: Zharikov schrieb über Handlungen des russischen Militärs, den Bombenanschlag auf das Auto von Zachar Prilepin und die Rolle der sowjetischen Armee bei der Befreiung von Prag.

Das Chostinskij-Bezirksgericht in Sotschi hat den Einwohner Maksim Markov zu einer Geldstrafe von 40.000 Rubeln (2,5 monatl. Mindestlöhne) verurteilt, weil er in den sozialen Netzwerken ein Bild mit der Aufschrift „Nein zum Krieg!“ veröffentlicht hat.

Gegen Nemeni Niks Nejtan aus Moskau ist aufgrund mehrerer Veröffentlichungen bei VKontakte ein Verwaltungsstrafverfahren wegen „Diskreditierung der Armee“ eingeleitet worden. Unter anderem hatte er geschrieben: „Menschen werden losgeschickt, um sie zu Hackfleisch zu verarbeiten und Städte zerstört unter der Parole „Wir lassen die Unsrigen nicht im Stich“.

 

Kriegsdienstverweigerung

In Primorje verurteilte ein Gericht den evangelischen Baptisten Vjatscheslav Reznitschenko zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft in einer Ansiedelungskolonie, weil er sich geweigert hatte, an den Kampfhandlungen in der Ukraine teilzunehmen. Vor Gericht hatte der Mann vergeblich versucht, zu beweisen, dass er dem christlichen Pazifismus anhängt und daher das Recht hat, sich aus religiösen Gründen nicht am Krieg zu beteiligen.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker


25. November 2023 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2024 memorial.de. Alle Rechte vorbehalten.
MEMORIAL Deutschland e.V. · Haus der Demokratie und Menschenrechte · Greifswalder Straße 4 · 10405 Berlin
Joomla! ist freie, unter der GNU/GPL-Lizenz veröffentlichte Software.
Back to Top