Erklärung der Internationalen Vereinigung Memorial zur Unterstützung von Oleg Orlov
Am 8. Juni beginnt der Prozess gegen unseren Kollegen, den Co-Vorsitzenden des Zentrums zum Schutz der Menschenreche und Vorstandsmitglied der Internationalen Vereinigung Memorial, den 70-jährigen Oleg Orlov. Viele von uns arbeiten seit Ende der 1980er Jahre mit Oleg Orlov bei Memorial zusammen; das ist schon ein ganzes Leben.
Die Memorialer kennen seine wesentliche Eigenschaft – seinen entschlossenen, unerschrockenen Einsatz für Menschen, die von den russischen Machthabern verfolgt werden und seinen Willen, die Wahrheit über unsere Vergangenheit und Gegenwart zu kennen und für sie einzustehen. Dafür will man ihn jetzt verurteilen. Denn die Wahrheit über unseren heutigen russischen Staat zu sagen gilt inzwischen als Verbrechen. Tausende befinden sich heute in Russland allein dafür in Haft, dass sie die Wahrheit gesagt haben.
Oleg Olrov wird der „wiederholten Diskreditierung“ der Armee beschuldigt (Art. 280.3 Abs. 1 StGB RF). Ihm drohen drei Jahre Freiheitsentzug. Anlass dafür ist sein Artikel „Sie wollten den Faschismus. Und sie haben ihn bekommen“, der in mehreren europäischen Sprachen veröffentlicht wurde. Darin diskutiert Orlov die Gegenwart und Zukunft Russlands und Europas. Er analysiert die Gründe, die zu dem Aggressionskrieg geführt haben und kommt zu dem düsteren Ergebnis, dass der Faschismus in Russland gesiegt hat. Aber freie Überlegungen über das Schicksal des Vaterlands sind in Russland zu einem Verbrechen geworden. Schon die Meinungsfreiheit, die von der russischen Verfassung und von internationalen Standards der Menschenrechte garantiert wird, gilt als verbrecherisch.
Wir hegen nicht die Hoffnung auf einen Freispruch für Orlov. Die Rechtsprechung in Russland richtet sich heute nicht nach dem Gesetz, sondern nach Befehlen von oben.
Wir erklären uns mit Oleg Orlov solidarisch. Wir sind uns sicher, dass eine Zeit kommt, in der seine Worte als berechtigt anerkannt werden.
Internationale Vereinigung Memorial
8. Juni 2023