Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 15.01.2023 – 22.01.2023

Poesie und Blumen gegen den Krieg

 

German Lukomnikov © Roman Jekimov / RFE/RL

In der Januar-Ausgabe des Samarer Literaturjournals „Wolga“ wurden Anti-Kriegsgedichte von German Lukomnikov veröffentlicht. Während Dichter mit Worten protestieren, tun dies andere Menschen mit Blumen. 

Am 17. Januar wurden in Moskau vier Personen am Lesja Ukrajinka-Denkmal festgenommen. Nachdem in der Nähe ein Polizeiwagen stationiert worden war, richteten die Menschen ein neues Mahmnal am Gogol-Denkmal am Nikitskij Boulevard ein. Zwei weitere spontane Mahnmale entstanden am Taras-Schevtschenko-Denkmal und an der „Statue der Gemeinschaft“. Am Lesja-Ukrajinka-Denkmal waren durchgehend Polizisten im Einsatz und verboten, das Denkmal zu fotografieren. Einer jungen Frau, die zum Denkmal kam, sagte ein Polizist: „Ich weiß, dass Sie das Recht haben zu fotografieren, ich verstehe selber nicht, warum Sie das nicht dürfen. Aber die Vorgesetzten haben gesagt, es ist nicht gestattet, also löschen Sie das Foto.“ Am 18. Januar wurde ein Provokateur festgenommen, der versuchte hatte, die Spielzeuge am Denkmal zu stehlen

In Sankt Petersburg zerstörten Unbekannte am 21. Januar ein Mahnmal, am nächsten Tag entstand es erneut. Ungeachtet dessen riss das Gedenken an die Opfer des Beschusses in Dnipro die ganze Woche über nicht ab. In vielen Städten entstanden Mahnmale, nachts wurden die Blumen in Müllsäcken eingesammelt und am nächsten Morgen wieder ausgelegt, seit mehr als einer Woche hält dies an. Es gab auch Fälle von Widerstand gegen die Zerstörung der Mahnmale. So wandte sich ein Mann in Krasnodar an die Polizei und beschwerte sich über das Verschwinden der Blumen am Taras-Schevtschenko-Denkmal. 

Außer an den bereits erwähnten Plätzen in Moskau, Krasnodar und St. Petersburg entstanden auch in folgenden Städten an Denkmälern spontane Mahnmale:

Omsk, Taras-Schevtschenko-Denkmal

 

 Kostroma, Denkmal für die Opfer politischer Repressionen

 

 

Kazan, Denkmal für die Opfer politischer Repressionen

 

Pskov, Denkmal „Mutter und Kind“

 

 

Tver, Denkmal für die Opfer politischer Repressionen

 

 

Sankt Petersburg, Denkmal für die ukrainischen Opfer politischer Repressionen

 

 

Voronezh, Denkmal für die „Kinder des Krieges“

 

Jekaterinburg, Denkmal für die Opfer politischer Repressionen

 

 

Moskau, Lesja-Ukrajinka-Denkmal

 

Moskau, Gogol-Denkmal

 

Moskau, Schevtschenko-Denkmal

 

Moskau, Denkmal "Freundschaft" zum Zeichen der Freundschaft zwischen Russland, Belarus und der Ukraine

 

Krasnodar, Schevtschenko-Denkmal

 

 

Novosibirsk, Taras-Shevchenko-Denkmal

 

 

Tomsk, Flurkreuz zur Erinnerung an die Opfer der Stalinistischen Repressionen

 

 

Ivanovo, Kapelle an der regionalen Stadtbibliothek

 

Einzelkundgebungen

 

In Barnaul hielt am 21. Januar ein Mann eine Einzelkundgebung ab, dabei hielt er ein „Plakat“ in den Händen, das etwas größer als eine Visitenkarte war, mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ sowie „Freiheit für politische Gefangene“. Der Mann wurde festgenommen.

In Sankt Petersburg kam es am 17. Januar am Eingang zur Metrostation „Kuptschino“ zu einer Einzelkundgebung, dabei hielt ein Unbekannter ein Plakat mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“.

 

 

 

In Moskau hielt die Aktivistin Jekaterina Varenik am Lesja-Ukrajinka-Denkmal, wo am 14. Januar ein spontanes Mahnmal für die Opfer des Beschusses in Dnipro entstanden war, eine Einzelkundgebung ab. Die Frau wurde festgenommen. 

Ebenfalls in Moskau neben dem Kreml an der Basilius-Kathedrale hielt ein Aktivist ein Plakat in die Höhe mit der Aufschrift: „Putin! Gegen Korruption und Armut muss gekämpft werden, nicht gegen die Ukraine, die NATO und Navalnyj.“

 

 

In Jekaterinburg nahm die Polizei die Aktivistin Julija Bloschtschinskaja fest, die mit einem Plakat, auf dem „Nein zum Krieg“ zu lesen war, eine Einzelkundgebung abgehalten hatte. Einige Stunden später ließ man sie wieder frei, nachdem die Polizei ein Protokoll wegen Diskreditierung der russischen Armee aufgenommen hatte.

 

 

Gedichte (und nicht nur) gegen den Krieg

 

In der Januar-Ausgabe des Samarer Literaturjournals „Volga“ wurden Anti-Kriegsgedichte von German Lukomnikov veröffentlicht. Das Journal erscheint als Printmedium (sechsmal im Jahr in einer Auflage von 1000 Exemplaren) und in elektronischer Form. Veröffentlicht wurden Gedichte wie diese:

 

Erhebe dich, großes Land,
Erhebe dich zum tödlichen Kampf
Gegen die dunkle faschistische Macht,
Gegen dein, verf***, Selbst.

Ich dachte
Russland
das bin ich 

Aber dieser Psycho
so scheint es
denkt das auch.

15.12.2022

 

Ende 2022 erschien im Verlag Ivan Limbach die Anthologie „Poesie der letzten Zeit“ mit Anti-Kriegsgedichten, viele der dort veröffentlichten Dichter befinden sich in Russland. Die Anthologie wird in vielen Geschäften in Petersburg, in Moskau und in anderen Städten verkauft.

„Die ‚Poesie der letzten Zeit' dokumentiert aktuelle literarische Prozesse an der Bruchstelle der russischen Kultur, an dem poetische Texte wie Fahnen auf einer Landkarte das Ausmaß einer humanitären Katastrophe markieren. Die von Februar bis einschließlich Juli 2022 verfassten Gedichte sind eine Art gedankliche Verarbeitung eines kollektiven Traumas mit künstlerischen Mitteln. Mehr als 100 Autoren denken über zeitgenössische Geschichte nach, über die Verantwortung für die Geschehnisse und über die Metamorphosen der russischen Sprache unter den Bedingungen einer sich verändernden Realität.“ Und: „Das ist keine Symphonie, sondern ein rituelles Weinen, ein tragischer Chor der Sirenen (im wahrsten Sinne des Wortes).“ 

Der Theater- und Filmschauspieler Dmitrij Nazarov deklamierte seine - tragischen und tragisch-satirischen - Gedichte gegen die kriegerische Aggression in der Ukraine, zeichnete sie auf und veröffentlichte sie auf seinem Youtube-Kanal. Auch seine Frau, die Schauspielerin Olga Vasileva, tauchte mitunter in den Videos auf. Im Januar 2023 entließ der künstlerische Leiter des Moskauer Chudozhestvennyj Teatr, Konstantin Chabenskij, Dmitriij Nazarov und Olga Vasileva.

 

Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker

12. Februar 2023

 

 

 

 

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