Urteil in Strasbourg zum staatlichen Vorgehen auf dem Bolotnaja-Platz

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte gibt russischem Kläger Recht

Das Europäische Gericht für Menschenrechte (EGMR) in Strasbourg hat am 5. Januar der Klage von Jewgenij Frumkin stattgegeben. Frumkin, der der Partei „Demokratische Union“ angehört, hatte gegen das Vorgehen der russischen Behörden im Zusammenhang mit der Kundgebung am Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012 (gegen Fälschungen bei den vorangegangenen Parlaments- und Präsidentenwahlen) geklagt.

Es ging um einen Demonstrationszug mit einer Abschlusskundgebung. Frumkin hatte nur an letzterer teilnehmen wollen, war jedoch festgenommen und zunächst für zwei Tage (bis 8. Mai) in Haft gehalten worden. Danach wurde er zu 15 Tagen Haft als Ordnungsstrafe (nach Art. 19.3 Verwaltungsstrafrecht) verurteilt.

Dieses Urteil hatte Frumkin vergeblich bei höheren russischen Instanzen angefochten und schließlich am 9. November 2012 auch beim EGMR. Dort liegen etliche weitere Klagen im Zusammenhang mit den Bolotnaja-Verfahren vor von Demonstranten, die ebenfalls mit Ordnungsstrafen (einschließlich Haft) belegt wurden sowie von Personen, die strafrechtlich verurteilt wurden.

Laut Urteil des EGMR wurden im Falle von Frumkin mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt: das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) sowie das Recht zur Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11).

Das Gericht hat die Vorgänge im Zusammenhang mit dem 6. Mai 2012 – auch die Vorgeschichte - im Detail untersucht. Geplant war eine Demonstration mit einer Abschlusskundgebung auf dem Bolotnaja-Platz. Beides war genehmigt, die Schlusskundgebung kam jedoch nicht mehr zustande. Anders als vorgesehen und abgesprochen sperrten die Behörden einen Teil des Bolotnaja-Platzes – die Grünanlage – ab. In der Folge kam es zu Gedränge, an einigen Stellen wurde die Polizeiabsperrung zeitweise durchbrochen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen.

Nach Auffassung des Gerichts haben die Behörden nichts unternommen, um den entstehenden Konflikt zu deeskalieren, sie hielten keinerlei Kontakt mit den Organisatoren der Kundgebung, um mögliche Übergriffe zu verhindern. Dadurch sind sie ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, die friedliche Durchführung der Aktion zu gewährleisten.

Jevgnij Frumkin habe sich auf einem Gebiet befunden, das für die Kundgebung reserviert worden war und keinerlei Gewalt angewandt. Die Sanktionen gegen ihn trügen einen abschreckenden Charakter, mit dem offensichtlichen Ziel, den Kläger und andere Personen von weiteren Protestkundgebungen und oppositionellen Aktivitäten abzuhalten. Weder hätten die Behörden ein gesetzwidriges Verhalten Frumkins bewiesen noch hätten sie überhaupt eine Begründung dafür abgegeben, dass er 36 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten wurde. Bei seiner Verurteilung zu 15 Tagen Haft habe die Schuldfrage gar keine Rolle gespielt.

Das EGMR sprach Frumkin eine Zahlung von 25.000 Euro zu. Darüber hinaus muss der russische Staat die Verfahrenskosten übernehmen (7.000 Euro).

Insgesamt sind im „Bolotnaja-Verfahren“ bisher 19 Personen zu Haftstrafen verurteilt worden. Einige haben ihre Haftzeit bereits verbüßt. 13 weitere Personen waren im Rahmen einer Amnestie Ende 2013 freigekommen. Ende 2015 wurde Dmitrij Butschenkow verhaftet, der indes behauptet, am 6. Mai nicht auf dem Bolotnaja-Platz gewesen zu sein. Die bisher letzte Verurteilung erfolgte am 22.12.2015. An diesem Tag wurde Iwan Nepomnjaschtschich nach 22 Monaten Hausarrest zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

13. Januar 2016

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