Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 26.02.2023 – 04.03.2023
Fortsetzung der Geschichte um Mascha Moskaleva
In Moskau tauchte ein Flugblatt auf mit der Aufschrift „Ein Kind schickt man ins Heim und ihren Vater verhaftet man wegen einer Anti-Kriegszeichnung / Passt euch so immer noch alles??“
Der Vater der Sechstklässlerin, die im Unterricht eine Anti-Kriegszeichnung angefertigt hatte, aus der Stadt Jefremov im Gebiet Tula wurde aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest überstellt, allerdings weigerte sich die Vormundschaftsbehörde, das Mädchen aus dem Heim zurück nach Hause zu entlassen. Wir erinnern, dass eine Lehrerin das Mädchen bei der Polizei angezeigt hatte und die gemeinsame Wohnung des Vaters und des Mädchens durchsucht worden war. Der Vater von Mascha, Aleksej Moskalev wurde festgenommen unter Berufung auf den Artikel zur „Diskreditierung der russischen Armee“, das Mädchen wurde in ein Heim gesteckt. Bis heute ist nicht nicht klar, wann das Kind wieder nach Hause kann. Vertreter der Partei „Jabloko“ starteten eine Petition mit der Forderung, Mascha nach Hause zu lassen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Nachricht hatten bereits 32. 000 Menschen die Petition unterschrieben.
Update: Am 28. März wurde Aleksej Moskalev zu zwei Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Zwar ist es ihm jedoch gelungen, aus dem Hausarrest zu fliehen, er wurde aber inzwischen in Minsk festgenommen.
Dies ist nicht der einzige Fall von Repressionen gegen Minderjährige und ihre Eltern in der vergangenen Woche: Am 5. März wurde der 15-jährige Sohn der burjatischen Aktivistin Natalija Filonova in ein Kinderheim gebracht. Natalija war auf einer Anti-Kriegsdemonstration festgenommen worden, ihren Sohn Vladimir Alapykin holten die Behörden bei Verwandten ab, brachten ihn zuerst in ein Krankenhaus, dann in ein soziales Rehabilitationszentrum und schließlich in ein Kinderheim.
Proteste an Masleniza (traditionelles ostslawisches Fest am Ende des Winters)
Anonyme Aktivisten aus Russland nutzten Traditionen des Festes für Anti-Kriegsaktionen. In Anlehnung an den Brauch, eine Vogelscheuche zu verbrennen, um den Frühling zu begrüßen, verbrannte eine Aktivistin aus Vladivostok eine Vogelscheuche aus Zeitungen mit russischer Kriegspropaganda. Eine andere Aktivistin beendete den traditionellen Spaziergang der Feierlichkeiten mit der öffentlichen Verbrennung einer Vogelscheuche mit dem Gesicht Putins.
Einzelmahnwachen gegen den Krieg
Weitere Einzelkundgebungen gegen den Krieg wurden in Moskau, Jekaterinburg, St. Petersburg, Krasnodar und Voronezh abgehalten. Auf den Plakaten steht: „Schaff dir kein Idol! Töte nicht! Stiehl nicht!“, „Für Frieden“, „Nein zum Krieg.“
Quellen: https://t.me/ovdinfolive/18809, https://t.me/ovdinfolive/18879, https://t.me/ovdinfolive/18974, https://t.me/activatica/31253, https://t.me/ovdinfolive/18767
Offener Brief
In Uljanovsk schrieben Bewohner einen offenen Brief gegen die Benennung der Schule nach einem Teilnehmer des Krieges in der Ukraine. Stattdessen schlugen die Schüler der Schule, Kollegen und Angehörige des kürzlich verstorbenen Direktors vor, die Schule nach diesem zu benennen. In dem Appell heißt es, den Verfassern des Appells sei nicht klar, welchen Dienst der Kriegsteilnehmer Schischikov der Schule erwiesen haben soll.
Proteste in Rekrutierungsbüros
In Tobolsk wurde der 15-jährige Sohn eines Kriegsteilnehmers für seine Absicht verhaftet, das Einberufungsamt anzuzünden. Zuvor hatte der Schüler von seiner Ablehnung des Krieges in den Sozialen Medien geschrieben. Der Junge wurde für zwei Monate in Haft genommen.
Ein 16-jähriger Gymnasiast aus St. Petersburg hat eine Flasche mit brennbarer Flüssigkeit an die Tür des Einberufungsamtes der Stadt Kirovsk geworfen. Der Junge wurde in Untersuchungshaft genommen und wird eines versuchten Terroraktes beschuldigt.
In Sosnovyj Bor im Leningrader Gebiet zündete ein Unbekannter ein Einberufungsamt an, das Gebäude fing Feuer. Verletzt wurde niemand.
In St. Petersburg zerschlug ein 25-jähriger Bewohner ein Fenster des Einberufungsamtes und ließ im Gebäude Anti-Kriegslosungen zurück: „Nein zum Krieg“, „Genug getötet“ und „Wie viel kann man töten?“
Im Einberufungsamt in Karatschai-Tscherkessien teilte ein Einwohner einem Polizeibeamten mit, dass er nicht in den Krieg will, sondern dieses Einberufungsamt in die Luft sprengen. Polizisten nahm ihn fest und brachten ihn zum Ermittlungskomitee.
Neuer Musik-Track und eine neue Ikone
Der russische Rapper Mi-GEL hat ein Video veröffentlicht zu dem Anti-Kriegslied „Wer hat gewonnen?“ mit den Zeilen „Schon ein ganzes Jahr läuft die Spezialoperation \'Genozid\', die hunderttausenden Menschen das Leben zerstört und vernichtet hat.“ Im Video-Clip sind Reportage-Sequenzen aus dem zerbombten Mariupol zu sehen.
Eine russische Künstlerin veröffentlichte die Fotografie einer Ikone, gemalt in den Farben der ukrainischen Flagge.
Urteile
Der 23-jährige Student und Autor des Telegram-Kanals „Protestierende MGU“ Dmitrij Ivanov wurde wegen Veröffentlichungen von Anti-Kriegsposts und Aufrufen zu Anti-Kriegsaktionen zu acht Jahren und sechs Monaten Lagerhaft verurteilt. In seiner abschließenden Rede vor Gericht appellierte Dmitrij an die Russen, nicht aufzugeben: „Damit unsere Hoffnungen sich erfüllen, müssen wir von der Passivität des Schuldgefühls, das sich auf die Vergangenheit richtet, zur Einsicht der eigenen staatsbürgerlichen Verantwortung streben, vom Bedauern über Vergangenes übergehen zur Lösung bestehender Probleme und zu Plänen für die Zukunft. Ja, jetzt in diesem Moment sind wir nicht in der Lage, den Krieg zu stoppen, aber das heißt nicht, dass wir machtlos sind. Ich will, dass jeder von euch darüber nachdenkt, was er persönlich tun kann. Die Antwort „nichts“ ist nicht akzeptabel.“
Im Gebiet Kemerovo wurde der Journalist Andrej Novaschov wegen Posts über den Krieg in der Ukraine bei VKontakte zu acht Monaten Besserungsarbeit verurteilt. In Novaschovs Veröffentlichungen fanden sich Wörter und Phrasen wie „Okkupanten“, „zielgerichtete Bombardierung“, „Aggressor-Land“, und andere. Andrej beendete seine Rede vor Gericht mit den Worten: „Militaristen und Fälscher vor Gericht, Freiheit für Russland, Frieden der Ukraine.“
Aleksej Netschuschkin aus Moskau wurde zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt. V, vor einem Jahr war er mit dem Auto auf den Puschkin-Platz gefahren und hatte den Innenraum seines Wagens angezündet. Auf dem Auto stand „Leute, steht auf!“ „Das ist ein Krieg.“ Die Mutter von Aleksej stammt aus der Ukraine. In seiner Rede vor Gericht erklärte er: „Ich habe mir große Sorgen um meine Angehörigen gemacht und wollte nicht, dass sie denken, ich sei gleichgültig.“
Straßenprotest
Auf den Straßen verschiedener russischer Städte tauchen weiterhin Blumen zum Zeichen der Trauer um die Opfer des Krieges sowie Anti-Kriegsäußerungen auf: „Putler kaput“, „MerZost“ [das russische Wort für Abscheulichkeit geschrieben mit dem Z-Symbol], „Putin ist ein Terrorist. Freiheit für Russland.“ „7119 Zivilpersonen sind seit Kriegsbeginn in der Ukraine umgekommen. Nach UN-Angaben vom 29.01.2023. Russland trauert“, „Der Februar dauert ein Jahr“, „Krieg lässt sich nicht annullieren“, „Sei kein Zombi“, „Fick den Krieg“, „Einiges Russland – die Partei der MoGilisation“ [Wortspiel aus dem russischen Wort Mogila (Grab) und Mobilizatsija (Mobilisierung)], „Dieses Wohnhaus zerstörten russische Raketen. Putins Armee beschießt jeden Tag friedliche ukrainische Bürger. Wir müssen das stoppen.“ (mit Fotografien des in Dnipro zerstörten Hauses), „Vorsicht Lüge“ (mit Fotografien von Propagandisten), „ Nicht die Heimat ist in Gefahr, sondern das Regime! Ihr dürft euch nicht den Kugeln aussetzen, die auf das Regime fliegen! Ihr braucht diesen Krieg nicht. Russland – das seid ihr!“, „Nein zum Krieg! Kein Kriegsziel rechtfertigt den Tod eines Kindes“ und weitere.
Quellen:
https://t.me/nowarmetro/13346, https://t.me/nowarmetro/13373, https://t.me/nowarmetro/13351, https://t.me/nowarmetro/13341,
https://t.me/nowarmetro/13338, https://t.me/nowarmetro/13324,
https://t.me/nowarmetro/13373, https://t.me/nowarmetro/13315,
https://t.me/nowarmetro/13310, https://t.me/nowarmetro/13260,
https://t.me/wakeup_russia/6111, https://t.me/wakeup_russia/6089,
https://t.me/wakeup_russia/6178
Bedrohung der russischen Streitkräfte im Fitnessstudio
In Sotschi erhielt die Besucherin eines Fitnessstudios eine Geldstrafe, weil sie während des Trainings ein T-Shirt mit der Aufschrift „Betet für die Ukraine“ getragen hatte.
Übersetzung: Nicole Hoefs-Brinker
28. März 2023