Stimmen gegen den Krieg - Proteste in der zweiten Oktoberwoche

Digest der russischen Anti-Kriegsproteste vom 8.-14.10.2023


Die Stadt spricht

Anti-Kriegs-Agitation in Sankt Petersburg, Jekaterinburg, Moskau, Ivanovo, Perm und Irkutsk

Aufschriften: Frieden für immer; Frieden für die Ukraine, für Russland die Freiheit; Nein zu Putin/Krieg (im Russischen ein Kofferwort aus beidem); Es gibt keine Rechtfertigung für den Krieg. Schweige nicht

Für den Frieden in aller Welt. Foto: Vesna

Geh nicht ins Rekrutierungsbüro! Für das Nichterscheinen gibt es nur eine Geldstrafe! Foto: Vesna


Foto: Vesna

Aufschriften: Frieden für die Welt, Nein zum Krieg (zweimal)

Aufschriften: Nein zum Krieg, Blumen statt Kugeln, Frieden

Aufschriften: Links: Der Welt den Frieden, Kugeln in den Schießstand, schweige nicht.
Mitte: Wir brauchen Helden, deren Waffe das Gute und die Liebe sind. Menschen, die alles ändern können. Das bin ich, das bist du, das sind deine Freunde, das sind deine Nachbarn. Hab keine Angst. Du bist nicht allein. Handle. (Handschriftlich: Nein zum Krieg).
Rechts: Du kämpft selbst - Bringe auch selbst Kinder zur Welt.


Schevtschenko-Denkmal in Omsk

In Chabarovsk sind Antikriegs-Graffiti aufgetaucht.


Schande (im russischen Wort wurde das stimmhafte s durch Z - das Zeichen für den Krieg - ersetzt). Foto: Vesna


Frieden für die Ukraine. Chabarovsk. Foto: Vesna


Das Böse (das stimmhafte s wieder durch Z als Zeichen des Krieges ersetzt). Foto: Vesna


Frieden. Foto: Vesna

Flugblätter gegen die neuen Regelungen bei der Einberufung und wichtige Information über die Mobilisierung werden von der Bewegung „Frühling“ verbreitet. Aktivisten laden sich die Flugblätter herunter und kleben sie an verschiedenen öffentlichen Orten an.

Die Soldaten nach Hause zurückbringen. Gebiet Sverdlovsk. Fotos: Vesna

Mahnwachen und andere Aktionen gegen den Krieg

In der Kurregion von Pjatigorsk fand eine Mahnwache gegen den Krieg statt. Ein junger Mann hielt Plakate hoch mit den Texten: „Lüg dich nicht an. Krieg bedeutet Tod“ und „Nein zum Krieg“.

Pjatigorsk, Fotos: Vesna

Im Zentrum von Novosibirsk wurde am 7. Oktober eine Serie von Einzelmahnwachen gegen den Krieg und Repressionen durchgeführt. Elena Tardasova-Jun trug Plakate mit Zitaten aus den Werken Remarques, Heminways und Orwells gegen den Krieg. Die Aktivisten forderten die Freilassung politischer Gefangener, darunter auch die der Journalistin Maria Ponomarenko und des ehemaligen Gouverneurs der Region Chabarovsk Sergej Furgal.

Mahnwachen in Novosibirsk. Foto: activatica

In Petersburg wurden Frauen festgenommen wegen einer Aktion des Gedenkens an Ukrainer. Tatjana Sitschkarjova und Katerina Mistrjukova hatten neben dem Taras-Schevtschenko-Denkmal eine Tafel angebracht mit dem Text: „Zum Andenken an die Opfer des Beschusses ukrainischen Territoriums“ und Blumen niedergelegt. Erst nah mehreren Anrufen bei der Polizei bekam ein Anwalt Zugang in die Polizeistation zu den festgenommenen Frauen.

St. Petersburg, Schevtschenko-Denkmal

Der Aktivist Dmitro Kusmin, der zweimal in Petersburg wegen seiner Anti-Kriegs-Position relegiert worden war, führte am 10. Oktober eine Mahnwache im Stadtzentrum neben der Kasaner Kathedrale durch mit dem Plakat: „Geh weg, Babylon“ (Zitat aus einem Lied von Boris Grebenschtschikov, in Russland als "ausländischer Agent“ registriert). Kusmin wurde festgenommen.

Er hatte an der Pädagogischen Herzen-Universität und zuvor am Historischen Institut Geschichte und Sozialwissenschaften studiert. Er und weitere Kommilitonen wurden wegen der angeblichen Verurteilung eines im Krieg gefallenen Studenten relegiert. Wegen seiner Positionierung gegen den Krieg wurde auch ihr Lehrer, der Dozent Michail Belousov, entlassen.


Foto: Vesna

Verfolgungen

In Joschkar-Ola wurde der Mitarbeiter des tatarischen Kulturzentrums Ramaj Juldasch wegen seiner Positionierung gegen den Krieg und Aktivitäten in den nationalen Bewegungen der Tataren und Marij entlassen. Früher hatte das Kultusministerium der Republik von ihm eine Erklärung verlangt wegen seiner Teilnahme an Protesten gegen politische Repressionen, und die Direktorin hatte ihn gebeten, keine Posts gegen den Krieg in sozialen Medien zu verfassen.


Ramai Juldasch. Aufschrift: In Marij El wurden 9.066 Krimtataren deportiert. Foto: Radio Svoboda

Wie idelreal.org berichtet, war Ramaj Juldasch Anfang der 1990-er Jahre in der Jugendorganisation von „Asatyk“ (Freiheit) aktiv, er gehörte zu den Organisatoren der Welttage der tatarischen Jugend sowie des Studentenfestivals „Jagimli jaz“. Er nahm an drei politischen Hungerstreiks teil, gab zwei Bücher zur Geschichte der tatarischen Jugendbewegung heraus. Er ist Führer der Tataren von Marij El.

Sicherheitsbeamte in Kasachstan haben den Anti-Kriegsaktivisten Aichal Ammosov festgenommen, ihm droht eine Auslieferung nach Russland. Im August 2022 hatte er ein Anti-Kriegs-Transparent auf dem Dach eines Schwimmbads in Jakutsk angebracht und eine Video-Botschaft gegen den Krieg aufgezeichnet. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wegen Diskreditierung der Armee, und er wurde zur Fahndung ausgeschrieben.

Gegen die Aktivistin und Journalistin Julia Fajsrachmanova von „activatica“ aus Kasan, die in die Türkei ausgereist ist, wurde ein Verfahren wegen angeblicher „öffentlicher Aufrufe zu Terrorismus“ und „öffentlicher Rechtfertigung des Terrorismus“ eingeleitet. Fajsrachmanova selbst bestätigte, dass ihre Verwandten und Freujnde in Russland zu Verhören vorgeladen werden. Anlass für das Verfahren sei ihr Auftritt im Januar 2023 im Europaparlament gewesen, wo sie die Tataren dazu aufgerufen hatte, aktiv die Ukraine zu unterstützen. „Ich verstehe, was sie gestört hat – das war mein Auftritt auf dem Forum freier Völker im Europaparlament in Brüssel. Ich habe mich dort ziemlich kategorisch positioniert, habe die Tataren dazu aufgerufen, sich eindeutig auf die Seite der Ukraine zu stellen. Ich habe natürlich begriffen, dass so ein Auftritt für mich negative Folgen haben kann, aber ich bin Journalistin, und meine Waffe ist das Wort. In einer Situation, in der die Menschen in der Ukraine bombardiert werden, man sie tötet, ihre Häuser zerstört, kann ich nicht dasitzen und schweigen, aus Angst um meine Sicherheit.“


Julija Fajsrachmanova. Foto: idelreal.org

Bei Polina Piskieva aus Uljanovsk wurde am 9. Oktober eine Haussuchung durchgeführt. Sie wurde mit Mann und Kind zum Ermittlungskomitee gebracht. Später wurde gegen sie ein Strafverfahren wegen „Extremismus“ eingeleitet, weil sie Flugblätter der Bewegung „Vesna“ (Frühling) verbreitet hatte.

Ilja Chrapko aus Petersburg erhielt an einem einzigen Tag 15 Protokolle wegen Deskreditierung der russischen Armee wegen seiner Posts im sozialen Netzwerk „VKontakte“.

Militärgerichte in drei Regionen haben drei Wehrdienstleistende wegen „Fakes“ über die Armee verurteilt: Alexej Orlov (Region Chabarovsk), Dmitrij Stronov (Karelien) und noch einen unbekannten Mann aus dem Gebiet Murmansk.

Gegen den ehemaligen kommunalen Abgeordneten Alexej Gorinov, der wegen seiner Stellungnahmen gegen den Krieg verurteilt wurde, wurde ein neues Verfahren eingeleitet – wegen Rechtfertigung des Terrorismus. Gorinov selbst erklärt das damit, dass das zuvor ergangene Urteil wegen der Fakes nicht überzeugend ausgefallen war.


Alexej Gorinov vor Gericht. Foto: Sota

Gegen den Rjasaner Sergej Bakanov wurden zwei Strafverfahren eingeleitet. Wegen Posts bei x, früher Twitter, wird ihm Diskreditierung der Armee zur Last gelegt, und wegen einer Veröffentlichung bei VKontakte, in der er die russische Armee mit den Nazis vergleichen hat, wird er der „Rehabilitierung des Nazismus“ bezichtigt. Bei ihm wurde eine Haussuchung durchgeführt.

In Moskau wurde die Studentin der Russischen Technologischen Universität Adelia Vallielova unmittelbar aus einer Lehrveranstaltung festgenommen und in die Lubjanka gebracht. Sie teilte mit, dass ihre Anti-Kriegs-Posts der Grund dafür war und ihr die „Diskreditierung“ der Armee zur Last gelegt werden soll.

Oleg Pronin aus Petersburg wurde im Rahmen eines Verfahrens wegen Graffiti an zwei städtischen Gebäuden in Untersuchungshaft gebracht. Die Ermittlung behauptet, Pronin habe sie aus „Liebe und Verehrung“ gegenüber der ukrainischen Armee angebracht. Bei Pronin sei angeblich Munition gefunden worden.

Maxim Jusov aus Rubzovsk wurde wegen Diskreditierung der Armee wegen des Fotos von einer Zeichnung mit der Aufschrift „Nein zum Krieg“ im Netzwerk „Odnoklassniki“ (Klassenkameraden) zu einer Geldstrafe verurteilt. Bereits früher hatte das Gericht Jusov zur selben Summe verurteilt, weil er die Aufschrift „Nein zum Krieg“ auf seinem Auto bei Telegram verbreitet hatte.

Ivan Solotov, Lehrer in einem College in Sverdlovsk, wurde entlassen, weil er in „VKontakte“ ein Gedicht von Alexander Galitsch über die Machtergreifung durch Unwürdige und das Gedenken an den Sieg im Zweiten Weltkrieg veröffentlicht hatte. Ein Kollege hatte ihn denunziert. Außerdem wurden zwei Ordnungsverfahren gegen ihn eingeleitet wegen Diskreditierung der russischen Armee.

Menschenrechtler haben eine Spendensammlung für einen Anwalt für Ganna Tschagina angekündigt, eine Musiklehrerin aus Tomsk Ganna Tschagina, die wegen Anti-Kriegsposts verurteilt wurde. Sie wird gegen das Urteil wegen wiederholter Diskreditierung der Armee Berufung einlegen. Anlass für das Verfahren waren Anti-Kriegs-Posts und Texte des Tomsker Philosophen Nikolaj Karpizkij, der in der Ukraine lebt und über den Beschuss geschrieben hatte.


Hanna Tschagina, Foto: baznica.info

Der Autor der Street art „Isrossilovanie“ Philippenzo (Philipp Kozlov) (Kombination aus dem Wort für Vergewaltigung und Russland) hat Russland wegen eines gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens verlassen. Im Juli hatte man ihm am Flughafen festgenommen, als er aus Georgien zurückkehrte, und ihn zu zwei aufeinanderfolgenden Haftstrafen von 15 Tagen verurteilt. Im September wurde bei ihm eine Haussuchung im Rahmen eines Verfahrens wegen Vandalismus „aus politischem Hass“ durchgeführt.


Die Arbeit des Künstlers Philippenzo in Moskau

Gegen den Anwalt Ilja Novikov wurde ein Straferfahren wegen Staatsverrat eingeleitet. Novikov lebt seit 2021 in Kyjiv. Nach Meinung des russischen Sicherheitsapparats hat er sich der ukrainischen Territorialverteidigung angeschlossen und nimmt an Kampfhandlungen teil.

Der 73-jährige Alexander Pravdin aus Siversk wurde von Polizisten festgenommen und zu seinem Anti-Kriegs-Telegram-Kanal „Siverskaja vorona“ (Rabe von Siversk) vernommen. Pravdin hatte eine Aktion zur Unterstützung seiner Freundin durchgeführt, die früher beschuldigt worden war, einen Polizisten angegriffen zu haben, und in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden war. Gegen Pravdin waren zuvor schon Verfahren „wegen Aufstachelung zu Hass oder Feindschaft“ eingeleitet worden.

Der Lehrer der Petersburger Universität für Medien Viktor Kornienko wurde nach der Denunziation einer Kollegin entlassen. Nach einem Streit am Telefon schrieb sie eine Denunziation an die Abgeordnete Jana Lantratova, in der sie behauptete, Kornienko „diskreditiert die russische Regierung und die Streitkräfte der RF und unterstützt den Sieg der ukrainischen Armee.“ Der 60-jährige Kornienko war fünfmal als bester Lehrer ausgezeichnet worden.


Viktor Kornienko. Foto: Sibir Realii

Der Autor des Youtube-Kanals „Kämpfer der Botanik“ über Wettkämpfe und bekannte Sportler wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Gegen Jevgenij Kirillov wurde ein Strafverfahren wegen „Fakes“ über die russische Armee eingeleitet. Sein Kanal hat über 700.000 Follower. In seinen Videos verurteilte er wiederholt den Überfall Russlands auf die Ukraine und die Taten der russischen Regierung, seinen ukrainischen Abonnenten sprach er sein Mitgefühl und seine Unterstützung aus.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Vera Ammer

13. Dezember 2023

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