Zum vierten Mal gibt man mir die Möglichkeit zu einem Schlusswort – im Rahmen ein und desselben Strafverfahrens für einen Artikel gegen den Krieg, in dem ich das derzeitige politische Regime in meinem Land beschrieben hatte.
In den drei letzten Schlussworten habe ich alles Wesentliche gesagt, alles, was zu sagen war – über mein Verfahren, über die Praxis politischer Verfolgungen, die in Russland zu einer Massenerscheinung geworden sind, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft meines Landes, das wir gemeinsam haben - ich und erstaunlicherweise jene, die mich verfolgen.
Was soll ich in meinem Schlusswort sagen? Beim ersten Prozess – noch im Goloviner Bezirksgericht von Moskau – setzte ich noch voraus, dass ein guter Willen vorhanden sei. Nicht dass ich generell davon ausging, aber ich fühlte mich durch meine menschenrechtliche Einstellung dazu verpflichtet.
Nachdem mein Verfahren vom Moskauer Stadtgericht an die Staatsanwaltschaft zurückverwiesen worden war, folgten Ermittlungen, die unmittelbar den Auftrag erfüllten, belastende Umstände zu finden… Das zeigte deutlich, dass Ermittlung, Staatsanwaltschaft und Gericht eindeutig einen politischen Austrag ausführen. Von diesem Augenblick an wäre meine Teilnahme wie beim ersten Prozess, also eine weitere vollwertige Teilnahme am Gerichtsprozess nicht nur sinnlos gewesen, sondern auch dumm. Also beendete ich meine Mitwirkung.
Und zwar deshalb, weil es völlig klar war, dass der Ausgang des Verfahrens bereits feststand. Was sollte ich dazu also noch sagen? Allenfalls kann ich ein Zitat vortragen und es dabei belassen. In dem Zitat werde ich lediglich einige Worte ändern, d. h. sie nicht einmal ändern, sondern auslassen. Ich erkläre danach, welche.
Hier folgt das Zitat: Sie ‚verzerrten und pervertierten das Recht und Gesetz im Staat und erreichten schließlich ihre komplette Zerstörung. Sie machten das Justizsystem zu einem integralen Bestandteil der Diktatur. (…) Sie eliminierten jeglichen Anschein rechtlicher Unabhängigkeit. Wer vor Gericht kam, wurde bedroht, eingeschüchtert und seiner fundamentalen Rechte beraubt. Ihre ‚Prozesse‘ waren grausame Farcen, die nur minimale Anklänge an juristische Verfahren aufwiesen, die nur den Zweck hatten, die unglücklichen Opfer zu verhöhnen.‘
Hier endet das Zitat. Dies kann heute mit vollem Recht jeder russische politische Gefangene sagen. Nachdem ich kurze Zeit im Gefängnis verbracht habe und bereits mit vielen Menschen zusammen gekommen bin, möchte ich ergänzen, dass nicht nur politische Gefangene dazu das Recht haben, diese Worte auszusprechen, sondern auch die zahlreichen Personen, die aus Gründen inhaftiert sind, die gar nichts mit Politik zu tun haben. Diese Worte entsprechen in erstaunlicher Weise einer Beschreibung weniger des derzeitigen Regimes als der russischen Justiz.
Geäußert wurden sie 1947 in Nürnbergvon Telford Taylor, dem Hauptankläger in dem berühmten Gerichtsverfahren gegen Richter., im Prozess gegen leitende Funktionäre der deutschen Justiz im NS-Regime.
Ich habe nur einige Worte ausgelassen, und zwar \'in Deutschland\', das \'Hitler\'Regime und Worte über das Tribunal.
Bisher haben wir in Russland noch keine besonderen Tribunale. Noch nicht. Aber die Parallelen liegen auf der Hand.
11. Juli 2024