Das Verfahren „Novoe Velitschie“ – Wer sind diese Menschen und warum stehen sie vor Gericht?

Eine aktualisierte Übersicht, basierend auf Berichten bei OVD-Info und des Menschenrechtszentrums Memorial

Am 15. März 2018 wurden in Moskau zehn Personen unter der Anklage, eine extremistische Vereinigung namens „Novoe Velitschie“ (Neue Größe) gegründet zu haben, verhaftet. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie einen Staatsstreich geplant hätten. Die Anwälte der Angeklagten erklären, „Novoe Velitschie“ sei von einem eingeschleusten Mitarbeiter der Sicherheitskräfte ins Leben gerufen worden.

Ein erstes Urteil wurde mittlerweile gefällt: Gegen Rustam Rustamov verhängte man am 5. März eine Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren wegen Unterstützung einer extremistischen Gemeinschaft. Zuvor hatte sich Rustamov schuldig bekannt und vor dem Urteil eine Übereinkunft mit der Ermittlung getroffen. Sein Fall wurde in einem eigenen Verfahren behandelt, ohne dass das Gericht die Beweise überprüft hätte.Weitere Angeklagte stehen derzeit zum Teil unter Hausarrest, andere befinden sich in Untersuchungshaft, für beide Personengruppen wurden die Vorbeugungsmaßnahmen inzwischen bis zum 13. Juni verlängert. Zur Unterstützung vor allem zweier junger Frauen der Gruppierung hatten im vergangenen Jahr in Moskau mehrere Unterstützungsaktionen stattgefunden. Beim „Marsch der Mütter“ am 15. August 2018 waren Hunderte in einer nicht-genehmigten Aktion bis zum Gebäude des Obersten Gerichts in Moskau gelaufen und hatten Stofftiere an den Eingang gelegt.Etwa 170 000 Menschen unterschrieben eine Petition zur Befreiung der Mädchen. Für die Mädchen bürgten die mittlerweile verstorbene Ljudmila Alekseeva, Vorsitzende der „Moskauer Helsinki-Gruppe“, und Lev Ponomarev, „Bewegung Für Menschenrechte“. Ebenso hatten Tatjana Moskalkova, Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, und Michael Fedotov, Vorsitzender des Menschenrechtsrats beim Russischen Präsidenten mit Hinweis auf die schlechte Gesundheit der Frauen appelliert, sie aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Die Geschichte von „Novoe Velitschie“ beginnt im Telegram-Chat „Klub der Blumenliebhaber“, der später in „Die Zukunft Russlands heute“ und danach in „Novoe Velitschie“ umbenannt wurde. Zu Beginn diskutierten die Teilnehmer des Chats ihr Leben und ihre Ansichten. Dann beschlossen sie, sich zu treffen. Einer wollte sich mit Politik beschäftigen, ein anderer den Menschen über Korruption berichten, ein weiterer betrachtete das alles als Freizeitbeschäftigung. Die Initiative zur Gründung einer organisierten Gemeinschaft ging von einer Person namens Ruslan aus – im Chat trug er den Nicknamen Ruslan D. Von Oktober 2017 bis zum Moment ihrer Verhaftung hatten die Chat-Mitglieder Flugblätter gedruckt und verteilt, in denen sie die Regierung kritisierten, an Versammlungen Navalnyjs und Aktionen der KPRF (Kommunistischen Partei der Russischen Föderation) zum Erhalt der Trolleybusse teilgenommen und im Wald aus einem Jagdkarabiner geschossen.

In Untersuchungshaft befinden sich zurzeit folgende vier Angeklagte: Ruslan Kostylenkov, Vjatscheslav Krjukov, Dmitrij Poletajev und Petr Karamzin. Unter Hausarrest stehen: Marija Dubovik, Anna Pavlikova, Maxim Roschtschin, Pavel Rebrovski und Sergej Gavrilov. Dubovik und Pavlikova wurden im August 2018 nach den erwähnten Aktionen aus der Untersuchungshaft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Alle Angeklagten sind wegen Gründung einer extremistischen Organisation (Art. 282.1 StGB RF) angeklagt. Die Menschenrechtsaktivistin Anna Frolova glaubt, dass „Novoe Velitschie“ kurz vor den Verhaftungen dabei war, auseinanderzubrechen. Dasselbe sagen auch Ruslan Kostylenkov, Maksim Paschkov, der Anwalt von Marija Dubovik, sowie Bekannte von Dmitrij Poletajev. Frolova glaubt, Ruslan D. habe Abtrünnige davon abgehalten, die Organisation zu verlassen. Sie nimmt weiter an, dass die Ermittler vorhatten, „Novoe Velitschie“ unter dem Terrorismusparagraphen 205 einzustufen. „Als die Organisation dann Anfang März auseinanderfiel, entschloss man sich ohne ausreichende Beweisgrundlage zu sofortigen Verhaftungen“, so Frolova.

Ruslan D. oder Aleksandr Konstantinov

Im Verfahren wird Ruslan D. Aleksandr Konstantinov genannt, alle Informationen über ihn sind gesperrt. Jurij Ispanzev, Ermittlungsbeamter der Kriminalpolizei, der in „Novoe Velitschie“ eingeschleust wurde, nennt in seinen Aussagen den Nachnamen Ruslans: Danilov. Und auf eben den Aussagen Danilovs-Konstantinovs basiert die Anklage. Nach den Worten der Beschuldigten war er das aktivste Mitglied der Organisation. Er schlug vor, verschiedene Abteilungen innerhalb von „Novoe Velitschie“ zu bilden, arbeitete eine Satzung aus und organisierte die regelmäßigen sonntäglichen Treffen in der Bratislavskaja Straße. Glaubt man der Version der Ermittlung, dann sah Danilov im November 2017 in dem oppositionellen Telegram-Chat eine Einladung zu einem Treffen bei Mc Donalds. Er ging zu dem Treffen und soll der Gruppe beigetreten sein, um den Rechtsschutzorganen Informationen weiterzugeben. Anwalt Paschkov nimmt an, dass Danilov ein eingeschleuster Mitarbeiter des FSB ist, direkte Beweise dafür gibt es aber nicht. Aus den Verfahrensunterlagen ist allerdings bekannt, dass sich in der Organisation drei verdeckte Mitarbeiter der Sicherheitsorgane befanden: M. I. Rastorguev, Rustam Kaschapov sowie Jurij Ispanzev. Nach Informationen Paschkovs versorgte Kaschapov die Angeklagten mit Patronen zum Schießen auf Schießscheiben. Danilov seinerseits erklärte in einem Interview mit dem Fernsehsender Doshd, er arbeite nicht für die Sicherheitsorgane.

Anna Pavlikova, 18 Jahre, Moskau

Unter Hausarrest

Arbeitete in einer tierärztlichen Klinik. Tierliebhaberin, züchtete Papageien, plante, sich in einer Veterinär-Akademie einzuschreiben. Als man mit einer Durchsuchung ins Haus der Pavlikovs kam, war Annas Vater der Meinung, dies hinge mit ihrer Teilnahme an Aktionen Navalnyjs und der KPRF zusammen. Im Verhör erzählt Anna, dass sie etwa im Dezember 2017 auf die Seite „Die Zukunft Russlands heute“ stieß, wo es einen Chat gab, in dem sich die Leute über verschiedene Themen unterhielten und Fotos posteten. Sie schloss sich ihnen an. In den Unterhaltungen äußerten die Chat-Teilnehmer, dass die gegenwärtige Regierung Russlands das Land zerstöre. Dann erschien im Chat die Einladung zu einem persönlichen Treffen. Pavlikova und Dubovik gingen gemeinsam hin und lernten dort Ruslan Kostylenkov kennen. Seitdem nahmen beide hin und wieder an ähnlichen Treffen teil. Im Februar beteiligte sich Pavlikova am Verteilen von Flugblättern, in denen die aktuelle Regierung kritisiert und zum Wahl-Boykott aufgerufen wurde. Nach der Version der Anklage hatte Pavlikova die Rolle einer „stellvertretenden Leitung der Informationsabteilung“ und war „Mitglied des Obersten Rates“ der extremistischen Vereinigung „Novoe Velitschie“. Die Menschenrechtlerin und Mitarbeiterin der FSIN (Sondereinheiten des Föderalen Strafvollzugsdienstes) Anna Karetnikova, die mit Pavlikova während der Untersuchungshaft sprach, vermutet, dass Anna den Kern der Anklage nicht vollständig versteht: „Als man die Dauer ihrer Untersuchungshaft verlängerte, nickte sie und lächelte. Aber danach sagte sie mir, dass sie das Urteil einfach nicht verstanden und deswegen genickt habe, um dem Richter nicht zu beleidigen.“ Nach mehreren Stunden im kalten Gefangenentransporter begannen bei Anna gynäkologische sowie Nierenprobleme. In der Untersuchungshaft bekam sie zudem hormonelle Störungen, aufgrund derer sie an Gewicht zunahm und sich ihr Sehvermögen verschlechterte. Im August wurde Pavlikova in den Hausarrest überstellt.

Vjatscheslav Krjukov, 20 Jahre, Gelendshik

In Haft

Student im zweiten Semester an der Russischen Staatlichen Universität für Justiz in Moskau. Geboren in Gelendshik. Im November 2017 sah er beim Messengerdienst „Telegram“ eine Mitteilung zu einem Treffen von Leuten mit oppositionellen Ansichten. Es erwies sich, dass auf dem Treffen über eine Satzung für „Novoe Velitschie“ diskutiert wurde. Später beim Verhör sagte Krjukov, dass er sich während der Diskussion inhaltlich gegen die Satzung ausgesprochen habe. Da er nicht auf Verständnis gestoßen sei, setzte er sich bei den folgenden Treffen in die hinterste Reihe und nahm nicht weiter an der Diskussion teil. Am Geldsammeln und Flugblatt-Verteilen beteiligte er sich ebenfalls nicht, weil er dies nicht für die richtige Strategie hielt. Das Ziel der Organisation war für ihn ausschließlich der Meinungsaustausch: „Ich ging auf die Versammlung, weil ich die Meinungen der anderen dort über die politische Situation im Land hören und, sofern möglich, meine eigene sagen wollte. Die Ermittler halten Vjatscheslav für den „Stellvertreter der Rechtsabteilung und Mitglied des Obersten Rates“ von „Novoe Velitschie“. Vom 11. September bis einschließlich 12. Oktober befand sich Krjukov im Hungerstreik mit der Forderung, ihn in den Hausarrest zu überstellen. Derzeit bekommt er Infusionen wegen der negativen Auswirkungen des Hungerstreiks auf seine Gesundheit. Er plant, ein Buch darüber zu schreiben, was ihm in der Untersuchungshaft widerfährt.

Dmitrij Poletaev, 29 Jahre, Moskau

In Haft

Hat das Institut of Business Career beendet. Begeistert sich für Fotografie, fotografierte auf genehmigten Versammlungen sowie auf Veranstaltungen der Organisation „Otscheredniki Moskvy“ [Organisation zur Lösung von Wohnraumproblemen], in die er aufgrund schwieriger Wohnbedingungen eingetreten war. Im Dezember 2017 fand er in seinem Briefkasten ein Flugblatt mit dem Text „Ihr seid kein Vieh, boykottiert die Wahlen.“ In dem Flugblatt lud man alle mit der Politik Putins Unzufriedenen zu den Versammlungen von „Novoe Velitschie“ ein. Im Verhör erklärte Poletaev, dass er diese Treffen als psychologische Entlastung wahrnahm: „So wie ich es verstand, versammelten sich die Teilnehmer, um dringende Probleme eines jeden zu erörtern und einander zuzuhören. Persönlich bin ich unzufrieden mit meinem Status in der Gesellschaft, genauer damit, dass ich mit meinen Eltern in einer Gemeinschaftswohnung lebe, eine Hochschulausbildung habe, aber keine Arbeit finde, weil alle vernünftigen Arbeitsplätze von denjenigen besetzt werden, die diese aufgrund von Beziehungen oder Geld bekommen haben.“ Ermittler Anton Maljugin gestattete der Mutter Poletaevs Galina einige Male, ihren Sohn in der Untersuchungshaft zu besuchen, warnte sie jedoch, dass er dies nur erlauben werde, solange sie das Schicksal Dmitrijs nicht öffentlich mache. Im September verweigerte der Ermittler ein weiteres Treffen. Galina Poletaeva bringt das in Zusammenhang mit dem Aufsehen, das das Verfahren in der Presse erregt hat.

Marija Dubovik, 20 Jahre, Moskau

Unter Hausarrest

Studentin an der Veterinärmedizinischen Skrjabin-Akademie, interessiert sich fürs Zeichnen. Lernte im Oktober 2017 auf einer Konferenz für Tiermedizin Anna Pavlikova kennen. Nach den Worten von Marijas Mutter erfuhren sie ungefähr ein Jahr zuvor, dass ihr Haus bei Moskau, welches sie zehn Jahre lang gebaut hatten, abgerissen werden sollte. Die Familie und Nachbarn nahmen an Meetings teil – und zu diesem Zeitpunkt begann auch Marija sich für Politik zu begeistern. Sie verbreitete Flugblätter, in denen aufgerufen wurde, die Präsidentschaftswahlen zu boykottieren und besuchte mehrere Versammlungen. Wie Dubovik während des Verhörs berichtete, lud Anna Pavlikova sie in den Chat ein und machte sie mit Ruslan Kostylenkov bekannt. Danach nahm Dubovik zusammen mit anderen Angeklagten an Aktionen Navalnyjs teil, einmal klebten sie ein Flugblatt von „Novoe Velitschie“ an ein Haus. Nach der Version der Ermittler leitete Dubovik die „Rekrutierungsabteilung und war Mitglied des Obersten Rates“ der extremistischen Organisation. Nachdem Marija in Untersuchungshaft geraten war, bekam sie Probleme mit der Verdauung, der Schilddrüse und dem Blutdruck. Zudem wurde bei ihr ein Tumor entdeckt, der weitere Untersuchungen erforderte. Nach der öffentlichen Kampagne zugunsten von Marija und Anna, insbesondere dem „Marsch der Mütter“ am 15. August, wurde Marija aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest überstellt.

Maxim Roschtschin, 39 Jahre, Chimki

Unter Hausarrest

Maxim nahm seit 2008 an oppositionellen Veranstaltungen teil. Fand ein Flugblatt von „Novoe Velitschie“ in seinem Briefkasten. Ihm gefiel, dass die Verfasser des Flugblattes sich „dem Regime Putins entgegenstellen wollten“, er fand die Seite der Organisation in den sozialen Netzwerken und begann, zu den sonntäglichen Treffen zu gehen. Glaubt man den Akten, war Roschtschin „Leiter der Informationsabteilung und Mitglied des Obersten Rates“ von „Novoe Velitschie“. Nach eigenen Worten nahm Maxim an den einmaligen Schießübungen nicht teil, von ähnlichen Aktionen hatte er keine Kenntnis.

Pavel Rebrovskij, 31 Jahre, Moskau

Unter Hausarrest

Die Menschenrechtsaktivistin Anna Frolova charakterisiert ihn als sehr stillen und ruhigen Menschen. Im Verlauf einer Gerichtsverhandlung, bei der sie anwesend war, sprach Pavel kein Wort. Im Herbst 2017 war Pavel vom „Klub der Blumenliebhaber“ in den Telegram-Chat eingeladen worden. Da habe er, nach eigenen Aussagen, seine Unzufriedenheit mit der politischen Situation im Land zum Ausdruck gebracht. Im Februar ging er mit den anderen Mitgliedern von „Novoe Velitschie“ zu einem Meeting zum Erhalt der Trolleybusse, welches er aber verließ, als er erfuhr, dass das Meeting von der KPRF organisiert worden war. An Trainingslagern nahm er nicht teil, da er mit Waffen nichts zu tun haben wollte. Rebrovskij betont, er habe „Novoe Velitschie“ nicht ernst genommen: „Ich bin ein erwachsener Mensch und verstehe, dass es unmöglich ist. eine Regierung mit 10 Personen zu stürzen. Meine Verpflichtungen [in der Organisation] betrachtete ich mit Humor und erfüllte sie dementsprechend nicht.“ Die Ermittler halten Pavel für den Leiter der „Aktionsabteilung und Mitglied des Obersten Rates“ der Vereinigung.

Petr Karamzin, 32 Jahre, Moskau

In Haft

Jurist. Nahm an den „Russischen Märschen“ [Straßenmärsche russischer Nationalisten] teil und schaute im Internet Videofilme von Vjatscheslav Malzev [Leiter der in Russland verbotenen Bewegung „Artpodgotovka“]. Besuchte zusammen mit Ruslan D. (Aleksandr Konstantinov) ein Meeting, das im November 2017 von Anhängern Malzevs organisiert worden war. Nach den Aussagen Karamzins verließen sie das Meeting sofort, nachdem sie gesehen hatten, dass es nicht genehmigt und der Platz von Polizisten abgesperrt war. Die Einladung zum Treffen bei Mc Donalds sah er im „Telegram“-Chat. Vor der Gerichtsverhandlung zur Verlängerung der Untersuchungshaft am 23. April sagte Karamzin: „Wir haben doch eigentlich gar nichts gemacht, das war nur Spielerei! Keiner hat das Gesetz verletzt. Sind nur zum Schießen auf einen Schießstand gefahren … Und überhaupt, was für eine Schießerei! Aus einem Karabiner auf Dosen – soll das etwa Schießen sein?“ Die Ermittler betrachten den Mann als „Leiter der Rechtsabteilung und Mitglied des Obersten Rates“ der extremistischen Vereinigung „Novoe Velitschie“.

Ruslan Kostylenkov, 25 Jahre, Gebiet Moskau

In Haft

Abschluss an der Medizinischen Hochschule. Nach Aussagen seiner Freundin Daria beschäftigte er sich damit, die Reichweite von Gruppen mit Witzen und Memen in den sozialen Netzwerken zu erhöhen. Im Jahr 2010 war er in der Bewegung „Weiße Eulen“, die sich dem Aufspüren von Pädophilen durch soziale Netzwerke widmet. Im November 2017 stieß Kostylenkov in einem der Chats bei „Telegram“ auf eine Diskussion über die von Vjatscheslav Malzev angekündigte „Revolution“. Ihn interessierten die Mitteilungen der enttäuschten Malzev-Anhänger und er begann, sich mit ihnen auszutauschen. Eine der am Chat Beteiligten war Anna Pavlikova, die Kostylenkov zum Treffen bei Mc Donalds einlud. Die Ermittler halten den jungen Mann für den „Kopf der Organisation und Mitglied des Obersten Rates“ von „Novoe Velitschie“. Kostylenkov organisierte angeblich zwei Fahrten in das Umland von Moskau, die die Ermittler als Fahrten in Trainingslager betrachten. Beim ersten Treffen habe man den Teilnehmenden gezeigt, wie man aus einem halbautomatischen Gewehr schießt, beim zweiten, wie man Molotovcocktails herstellt. Am Tag der Festnahme veröffentlichte der „Telegram“-Kanal „Kremlevskaja pratschka“ ein Video, auf dem Kostylenkov sich mit Spuren von Schlägen auf dem Gesicht schuldig bekennt. Nach seinen Worten wurden die Aussagen durch Folter erpresst: Ein Mitarbeiter der Polizei habe ihm eine Tüte über den Kopf gezogen, ihn gewürgt und geschlagen. Krankenakten aus dem Untersuchungsgefängnis Nr. 3 bestätigen vorhandene Verletzungen. Später widerrief Ruslan die Aussagen, die er auf dem Video gemacht hatte.

Rustam Rustamov, 29 Jahre, Chotkovo, Gebiet Moskau

Unter Hausarrest

Ingenieur am Zentralen Forschungsinstitut für Spezial-Maschinenbau in Chotkovo. Begeisterte sich für die Jagd, ein Freund von Ruslan Kostylenkov. Kostylenkov benutzte seine Waffe bei den Schießübungen im Trainingslager. Rustamov selbst erklärte im Verhör, dass er nicht verstand, zu welchem Zweck die Waffe benutzt wurde: „Ruslan wollte mit mir auf Hasenjagd fahren. Es waren noch einige Leute bei ihm und er bat mich, ihn auch schließen zu lassen.“ Nach Rustams Worten hat er von „Novoe Velitischie“ nie gehört und war auf keiner der Versammlungen.

Sergej Gavrilov, 25 Jahre, Moskau

Unter Hausarrest

Softwareentwickler. Stieß im sozialen Netzwerk „Vkontakte“ auf die Seite von „Novoe Velitschie“, nachdem er auf einer Versammlung von Malzev-Anhängern am 5. November 2017 festgenommen worden war. Nach seinen Aussagen hatte er nicht vor, an deren Aktionen teilzunehmen, hielt Distanz zu den anwesenden OMON-Polizisten. Dennoch brachte man ihn auf die Polizei. Er wurde angeklagt, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben und zu einer Strafe von 12 000 Rubel [ca. 163,- Euro] verurteilt. Aus Empörung über die ungerechtfertigte Strafe suchte er oppositionelle Seiten und Gruppen in den sozialen Netzwerken auf und begann, sich bei „Vkontakte“ mit anderen oppositionell gestimmten Leuten auszutauschen. Danach nahm er an einigen Treffen mit den Mitangeklagten des Verfahrens teil. Nach Auffassung der Anklage war Sergej „Stellvertretender Leiter der Finanzabteilung und Mitglied des Obersten Rates“ von „Novoe Velitschie“. Die Finanzabteilung unterdessen leitete der bereits erwähnte Ruslan Danilov.

Zusammenstellung und Übersetzung von Nicole Hoefs-Brinker

21. März 2019

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