Chronik politischer Verfolgung: Das Wichtigste im Oktober 2022

Auch im zweiten Monat nach der sogenannten „Teilmobilmachung“ setzen die Behörden weiterhin auf Druck, Verfolgung und Repression. Wieder wurden Personen in das „Register Ausländischer Agenten“ aufgenommen, Verfahren eingeleitet und Urteile gegen diejenigen verhängt, die sich gegen den Angriffskrieg in der Ukraine wenden und mit der Politik der Regierung nicht einverstanden sind. Wir bringen eine gekürzte Zusammenfassung politischer Verfolgung im Monat Oktober 2022.

„Ausländische Agenten“

Die Staatsduma hat zwei Gesetzesentwürfe verabschiedet, die eine weitere Verschärfung des „Agenten-Gesetzes“ vorsieht. Sollten diese Entwürfe endgültig verabschiedet werden, so können die Behörden in Zukunft nicht mehr nur diejenigen belangen, die „die Funktion eines ausländischen Agenten ausüben“, sondern auch Personen, die „die Absicht haben, als ausländischer Agent“ zu handeln.

35 weitere Personen wurden in das „Ausländische Agenten-Register“, darunter mehrere Journalisten des oppositionellen Senders „Telekanal Dozhd“ sowie dessen Generaldirektorin, außerdem Mitstreiter Alexej Navalnyjs, der Leiter von Transparency International in Russland und der Musiker Miron Fedorov (Oxxxymiron).

„Unerwünschte Organisationen“

Die deutsche Nichtregierungsorganisation „Dekabristen e.V.“, die die Zivilgesellschaft in Osteuropa, Zentralasien und im Kaukasus unterstützt und sich gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht, wurde zur „unerwünschten Organisation“ erklärt.

Gegen den inhaftierten Politiker Vladimir Kara-Murza wurde wegen Zusammenarbeit mit der ebenfalls als „Unerwünschten Organisation“ klassifizierten Stiftung „Free Russia Foundation“ ein weiteres Strafverfahren wegen Staatsverrats [Art. 275 StGB RF] eingeleitet.

Druck auf weitere unabhängige zivilgesellschaftliche Vereinigungen

Die zivilgesellschaftliche Bewegung „Vesna“ [Frühling] wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft in die Liste der Terroristen und Extremisten aufgenommen.

Das Projekt „Majakovskie Tschtenija“ [Majakovskij-Lesungen] hat die Einstellung seiner Tätigkeit in Russland erklärt, da unter den Bedingungen der Kriegszensur und Mobilmachung die Sicherheit der Teilnehmer nicht mehr gewährleistet werden kann. Im September waren gegen drei Aktivisten der Gruppe Verfahren wegen „Erregung von Hass unter Androhung von Gewaltanwendung“ [Art. 282 Teil 2 StGB] eingeleitet worden.

Erzwungene Emigration

Auch im Oktober verließen etliche Aktivisten, Journalisten, Politiker und Unternehmer das Land, darunter der Politiker Leonid Gozman und die Journalistin Marina Ovsjannikova. Viele der Emigrierten flüchteten wegen politischer Verfolgung oder wegen bereits gegen sie eingeleiteter Verfahren aufgrund ihrer Anti-Kriegshaltung. Mehrere wurden auf Fahndungslisten gesetzt.

Internet-Blockaden und Druck auf Medien

Die oberste Medienaufsichtsbehörde „Roskomnadzor“ hat mindestens weitere 29 Internetseiten und -medien blockiert, darunter den mittlerweile aus Deutschland sendenden Radiosender „Echo“ [vormals „Echo Moskvy“], die Platform „SoundCloud“, den russischen Dienst von „The Moscow Times“ sowie die „Bewegung bewusster Kriegsdienstverweigerer“. Die Plattform „Meta“ wurde in die Liste extremistischer Organisationen sowie in die Liste der Terroristen und Extremisten aufgenommen; Tätigkeiten von „Meta“ in der Russischen Föderation waren bereits im März verboten worden. Das soziale Netzwerk „VKontakte“ hat die Seiten mehrerer Vereinigungen, Aktivisten und Personen blockiert, darunter die des Kunstprojekts „Partija Mertvych“ [Partei der Toten], die mit Aktionen gegen den Krieg auf sich aufmerksam gemacht hatten, außerdem die Seite des Leiters der Partei „Jabloko“ in Tatarstan. Der Zugang zu einem Aufruf von Soldaten aus Kurgan, die sich über die Umstände ihrer Einberufung beschweren, wurde eingeschränkt. Weiterhin blockiert wurden Podcasts, die die oppositionellen Internetmedien „Meduza“ und „Radio Svoboda“ veröffentlicht hatten.

Verfolgung Navalnyjs und seiner Anhänger

Gegen Aleksej Navalnyj wurde ein weiteres Strafverfahren eingeleitet, dieses Mal, weil er im Straflager angeblich „Terrorismus propagiert, außerdem zu diesem sowie zu Extremismus aufgerufen, extremistische Handlungen finanziert und den Nationalsozialismus gerechtfertigt“ haben soll. Eine weitere zuvor verhängte Strafe von neun Jahren strenger Lagerhaft und 1,2 Millionen Rubel [ca. 19.700 Euro] wegen „Betrugs“ [Art. 159 Teil 4 StGB] und „Beleidigung von Teilnehmern an einer gerichtlichen Untersuchung und Richtern“ [Art. 297 Teil 1 u. 4 StGB RF] wurde vom Berufungsgericht bestätigt; Navalnyj wird weiterhin unter fadenscheinigen Gründen regelmäßig in die Strafisolierzelle gebracht, die Richter erklärten dies für rechtmäßig.

Der ehemalige Kameramann des Navalnyj-Stabs in Archangelsk wurde wegen Kommentaren bei VKontakte, in denen er den Nationalsozialismus gerechtfertigt haben soll, zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt [Art. 354.1 Teil 2 u. 4. StGB], er hatte die Feierlichkeiten zum 9. Mai angeblich als „abgeschmackten Karneval“ bezeichnet und geschrieben, die UdSSR und Deutschland seien zwei Jahre Verbündete gewesen und hätte Polen okkupiert. Weiterhin erlegte man ihm die Kosten für eine gerichtlich verfügte Expertise von Psychologen und Historikern im Rahmen seinen Falls von 180 000 Rubel [ca. 2900 Euro] auf.

Gegen eine emigrierte Mitarbeiterin des Navalnyj-Stabs in Archangelsk wurde ein Haftbefehl verhängt im Rahmen des gegen sie laufenden Prozesses wegen „Beteiligung an einer extremistischen Vereinigung“ [Art. 282.1 Teil 2 StGB], die die „Persönlichkeits- und Bürgerrechte Anderer angreift“ [Art. 239 Teil 3 StGB].

Ein Gericht in Archangelsk hat dem Antrag des Innenministeriums stattgegeben, die im Rahmen der Proteste zur Unterstützung Aleksej Navalnyjs am 23. und 31. Januar 2021 durch den Polizeieinsatz entstandenen Kosten von örtlichen Aktivisten zurückzufordern. Dabei handelt es sich um eine Summe von 766.183 Rubel und 88 Kopeken [ca. 12.500 Euro].

Anti-Kriegsprozesse

Im Rahmen der Anti-Kriegsprozesse wurden im Oktober folgende Urteile verhängt:

Zweieinhalb Jahre strenge Lagerhaft gegen einen Bewohner von Aluschta [Krim] wegen „Verbreitung von Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“ [Art. 207.3 Teil 1 StGB]. Der Mann hatte die Fotografie eines Nationalgardisten an dessen Haus gehängt mit der Aufschrift: „Hier wohnt ein Kriegsverbrecher, der Kinder tötet.“

Drei Jahre Lagerhaft erhielt ein ehemaliger Bürgermeistermitarbeiter der Stadt Elista wegen „Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die Armee der Russischen Föderation durch eine Personengruppe aus Gründen des Hasses oder der Feindschaft“ (Art. 207.3 Teil 2, Abs. b u.d StGB RF].

Vier Jahre Lagerhaft erhielt ein Mann aus Nizhnij Novgorod wegen „Unerlaubtem Waffenbesitz“ [Art. 222 Teil 1 StGB RF], bei dem man zuhause Patronen gefunden hatte. Angehörige sind überzeugt, dass ihm die Patronen wegen Anti-Kriegsäußerungen untergeschoben wurden und der Prozess gegen ihn konstruiert ist.
Eineinhalb Jahre auf Bewährung erhielt eine Frau aus Moskau wegen „Gewaltanwendung gegen einen Staatsvertreter“ [ Art. 318 Teil 1 StGB]; sie soll bei einer Anti-Kriegsdemonstration am 24. Februar einen Polizisten mit einer Tasche geschlagen haben.

Zwei Jahre Freiheitsbeschränkung wegen „Vandalismus aus politischem Hass“ [Art. 214 Teil 2 StGB RF] für einen Mann aus Tula; der am Kreml-Turm in Tula die Aufschrift „Krieg – Requiem für den gesunden Menschenverstand“ angebracht haben soll. Wegen desselben Paragraphen zu einem Jahr verurteilt wurden eine Bewohnerin aus Kemerovo und ein Mann aus St. Petersburg. Die Frau soll zum Tag des Sieges aufgehängte Banner mit Farbe beschmutzt haben, um ihre Antikriegshaltung auszudrücken, der Mann eine Haubitze des Militärhistorischen Museums in Petersburg in den Farben der Ukraine bemalt haben.

300 000 Rubel [ca. 4900 Euro] Geldstrafe erhielt eine Frau aus dem Gebiet Novgorod, die sich in den aozialen Netzwerken gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hatte, wegen „Aufruf zum Terrorismus“ [Art. 205.2. Teil 2 StGB]; zu 100 000 Rubel [ca. 1600 Euro] wurde ein Geistlicher wegen „Diskreditierung der Russischen Armee“ [Art. 280.3 StGB RF] im Gebiet Sverdlovsk verurteilt, der ebenfalls in den sozialen Netzwerken den Krieg verurteilt hatte.

In Krasnodar wurde eine Geldstrafe von 3.000.000 Rubel [ca. 47.450 Euro] gegen einen Arzt wegen „Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“ [Art. 207.3 StGB] verhängt aufgrund eines Kommentars bei Facebook, in dem der Mann von Verlusten in der russischen Armee und der Bildung von Sperrtruppen aus tschetschenischen Soldaten berichtet hatte.

Ein Mann aus Omsk und ein Mann aus Moskau, gegen die ein Verfahren wegen „Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“ [Art. 207.3 StGB RF] eingeleitet worden war, wurden in Haftanstalten überführt, einer von beiden hatte zuvor versucht, das Land zu verlassen.

Unter Hausarrest gestellt wurde ein Ökoaktivist aus Komi wegen wiederholter „Diskreditierung der Russischen Streitkräfte“ [Art. 280.3 Teil 1 StGB] durch Veröffentlichungen im Internet. Ebenfalls Hausarrest erhielt die Petersburgerin Irina Zybaneva, die am Grab der Eltern Putins eine Nachricht platziert hatte mit dem Inhalt, die Eltern „mögen doch ihren Sohn, der sich unmöglich benimmt, aus der Schule abholen und Maßnahmen ergreifen.“ Ihr wird „Beleidigung einer Grabstätte aus politischer oder ideologischer Feindschaft“ [ Art. 244 Teil 2 Abs. b StGB RF] zur Laste gelegt.

Ein Verbot zur „Ausführung bestimmter Handlungen“ wegen Veröffentlichungen von Antikriegsaktionen bei VKontakte, Graffitis und der Niederlegung von Blumen am Grab der Journalistin Irina Slavina wurde gegen einen Lehrer und Fotografen aus Nizhnij Novgorod verhängt, man legt ihm „Wiederholte Diskreditierung der Russischen Armee“ [Art. 280.3 Teil 1 StGB RF] zur Last. Dasselbe Verbot wurde gegen eine namentlich nicht bekannte Bewohnerin von Archangelsk verhängt.

Haftbefehl in Abwesenheit wegen „Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“ [Art. 207.3 Teil 1 u. 2. StGB] wurde gegen drei Personen verhängt, darunter ein Unternehmer aus Smolensk und die Journalistin Marina Ovsjannikova.

Mindestens weitere 6 Verfahren wurden wegen „Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“ [Art. 207.3 StGB] aufgrund von Veröffentlichungen in den Sozialen Netzwerken verhängt, fünf der betroffenen Personen befinden sich im Ausland, eine davon bereits seit drei Jahren. Unter den Angeklagten ist auch Vladimir Osetschkin, Gründer von „Gulagu.Net“.

Wegen „Diskreditierung der Russischen Streitkräfte“ [Art. 280.3 StGB RF] wurde weiterhin gegen einen Mann aus Novosibirsk angeklagt, der laut Ermittlung „Nein zum Krieg“ auf ein Denkmal geschrieben hat sowie gegen eine Rentnerin aus Petrozavodsk, die in den Aufzug eines Wohnhauses Anti-Kriegsflugblätter geklebt haben soll, außerdem gegen einen Mann aus Naberezhnye Tschelny wegen Posts bei VKontakte.

Gegen einen Bewohner der Oblast Amur wurde ein Strafverfahren eröffnet wegen des „Aufrufs von Handlungen, die die Sicherheit des Staates gefährden“ [Art. 280.4 Teil 2 StGB], der Mann hatte im Internet ein Video der Bewegung „Atesch“ gepostet, die angeblich versucht, „die russische Armee von innen heraus zu zerstören.“ In dem Video heißt es: „Tretet Atesch bei! Stoppen wir Putins Krieg! Wir dürfen nicht für die Interessen eines Tyrannen sterben!“

Die Militärkommandantur in Ulan-Ude hat ein Strafverfahren gegen einen Mann eingeleitet wegen „Unbefugten Verlassens einer Einberufungsmilitäreinheit [Art. 337 Teil 2.1 StGB]. Der Mann hatte zuvor verkündet: „Ich werde in keine Ukraine gehen, ich werde auf keine Ukrainer schießen.“ Nachdem dem Mann daraufhin ein Strafverfahren angedroht wurde, floh er durch ein Loch im Zaun.

Ein Strafverfahren wegen „Körperverletzung aus politischem Hass“ [Art. 116 StGB] wurde gegen einen Aktivisten aus St. Petersburg eingeleitet, der in der U-Bahn einen Fahrgast geschlagen haben soll, der eine Jacke mit dem Buchstaben Z trug. Der Aktivist bestreitet dies.

Weitere Strafverfahren wurden eingeleitet wegen „Aufruf zum Extremismus im Internet“ [Art. 280 Teil 2 StGB RF] im Fall einer Bewohnerin aus Kertsch, die laut FSB bei Telegram zu Gewalt gegen Russen aufgerufen und sich gegen den Krieg in der Ukraine geäußert haben soll. Wegen desselben Paragraphen kam es zur Einleitung von Strafverfahren gegen eine Person aus St. Petersburg und einer weiteren aus Tver, die eine soll Aufrufe extremistischer Art verbreitet, die andere Aufrufe zu Demonstrationen gegen die Mobilmachung im Internet kommentiert haben.

Wegen „Mehrfacher Verletzung der Vorgaben zur Durchführung von Demonstrationen“ [Art. 212.2 StGB; sog. Dadin-Paragraph] wurde ein Verfahren eröffnet gegen eine Aktivistin aus Ivanovo, die sich an Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine beteiligt hatte. Gleichzeitig läuft gegen sie ein Verfahren wegen „Diskreditierung der Russischen Armee“ [Art. 280.3 StGB RF]; außerdem wurde der Aktivistin untersagt, weiterhin an der Medizinischen Akademie zu unterrichten.

Zwei Aktivisten aus St. Petersburg werden in einem Verfahren wegen „Telefonterrorismus“ [Art. 207 StGB] als Verdächtige geführt, bei ihnen fanden Hausdurchsuchungen statt.

Im Rahmen der Verfahren wegen „Diskreditierung der Russischen Armee“ führten die Sicherheitskräfte mindestens neun Hausdurchsuchungen in Moskau, Perm, Ivanovo, Tscheljabinsk und der Oblast Pskov durch, unter anderem wurde das Büro der Organisation zum Schutz von Wählerrechten „Golos“ [Stimme] durchsucht sowie die Wohnungen zweier Mitglieder der Partei „Jabloko“.

Ebenfalls durchsucht wurde die Wohnung der Mutter des ehemaligen Navalnyj-Stab-Leiters für Kostrom und Saratov, Aleksandr Zykov. Zykov selber, gegen den ein Verfahren wegen „Verbreitung von Falschinformationen über die Russische Armee“ läuft, hält sich in den Niederlanden auf. Die Durchsuchung fand statt, kurz nachdem die Wiederaufnahme der Arbeit der Navalnyj-Stäbe in Russland veröffentlicht wurde.

In Kazan wurden bei zwei Aktivisten Hausdurchsuchungen wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ [Art. 205.2 Teil 2 StGB RF] durchgeführt, Anlass war ein Video, das zeigt, wie der Russische Botschafter in Warschau am 9. Mai mit Farbe bespritzt wird; durchsucht wurde auch ein Geschäft, das Anti-Kriegs-Sticker verkauft. Eine weitere Durchsuchung fand in Korolev bei Moskau bei einem Aktivisten statt, vermutlich wegen „Verbreitung von Falschinformationen über die Russische Armee aus politischem Hass“ [Art. 207.3 Teil 2, Abs. d].

In der Region Primorje wurden die Wohnungen der Ehefrau und Eltern eines Journalisten und Aktivisten wegen Publikationen im Internet durchsucht, die Wohnung eines Dramaturgen aus Nizhnevartovsk, mutmaßlich wegen Anti-Kriegs-Posts bei VKontakte und Facebook, bei zwei Personen aus Velikij Novgorod wegen Vandalismus [Art. 214 StGB], letztere wegen Anbringung von Aufschriften gegen den Krieg und die Mobilmachung an mehreren städtischen Gebäuden.

Weitere Hausdurchsuchungen führten die Sicherheitskräfte durch in der Region Krasnojarsk wegen „Extremismus“ [Art. 280 StGB], Anlass sollen Anti-Kriegs-Posts gewesen sein. Außerdem durchsuchten sie die Wohnung einer Person in Uchta in Zusammenhang mit einem Verfahren wegen „Zerstörung eines Denkmals für eine Person, die das Vaterland oder seine Interessen verteidigt hat“ [Art. 243.4 Teil 1 StGB]; das Denkmal war einem Teilnehmer an den Kämpfen in der Ost-Ukraine gewidmet.

Zwei im Rahmen der Verfahren „Majakovskij-Lesungen“ angeklagte Personen wurden in das Butyrka Gefängnis überführt. Nach Aussagen der Ermittler enthalten die literarischen Werke „Zeichen der Erniedrigung von Milizionären, die an Militäraktionen in der [sogenannten] LNR und DNR teilgenommen haben".

In Nizhnij Novgorod wurde verfügt, einen örtlichen Aktivisten, beschuldigt wegen „Verbreitung von Falschmeldungen über die Russischen Streitkräfte“, bis zum Ende der Untersuchung seines Falls aus der Strafanstalt in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen.

Verfahren wegen Brandanschlägen auf Rekrutierungsanstalten und Verwaltungsgebäude

Vier wegen Brandanschlägen auf Rekrutierungsbüros Angeklagte aus St. Petersburg, Burjatien, Rjazan und Uchta wurden in Strafanstalten überstellt. Die gegen sie eingeleiteten Prozesse werden geführt u.a. wegen „Begehen einer terroristischen Handlung“ [Art. 205 Teil 1 StGB], „Wissentlicher Falschinformation über einen Terroranschlag auf die soziale Infrastruktur“ [Art. 207 Teil 2 StGB] und „Vandalismus aus politischer Feindschaft und Hass“ [Art. 214 Teil 2 StGB].

Gegen eine Schülerin aus Tatarstan und einen Bewohner des Gebiets Orenburg, die beide verdächtigt werden, örtliche Rekrutierungsbüros angezündet bzw. dies versucht zu haben, wurde Hausarrest verhängt wegen „versuchter vorsätzlicher Zerstörung fremden Eigentums mit gemeingefährlichen Mitteln“ [Art. 167 Teil 2 u. Anw. Art. 30 Teil 3 StGB] bzw. „Vorsätzlicher Zerstörung oder Beschädigung von Eigentum“ [Art. 167 Teil 2 StGB].

In mindestens 5 Regionen wurden im Oktober Strafverfahren eröffnet wegen Brandanschlägen auf Rekrutierungsanstalten oder versuchter Brandanschläge, zwei davon in Tatarstan, zwei in Baschkirien, allen Beschuldigten wird „Versuchte vorsätzliche Zerstörung fremden Eigentums mit gemeingefährlichen Mitteln“ vorgeworfen, in Kemerovo nahmen die Sicherheitskräfte eine 59-Jährige fest wegen des Verdachts auf Brandstiftung an einem Rekrutierungsbüro. In der Region Krasnodar kam es zu einem weiteren Verfahren wegen desselben Vergehens, zu einer Verhaftung deswegen kam es auch in Krasnojarsk, dort wurde gegen einen 23-Jähriger ein Verfahren wegen eines „Terroranschlags“ [Art. 205 Teil 1 StGB] eingeleitet.

In der Republik Mordovija wurde gegen einen 21-Jährigen ein Verfahren eingeleitet wegen der Vorbereitung eines Brandanschlages oder Sprengung einer staatlichen Einrichtung, ermittelt wird wegen „Unerlaubtem Erwerb und Besitz von Sprengstoff“ [Art. 222.1 StGB]. Der junge Mann hat ein Geständnis abgelegt, er habe so gegen den Krieg in der Ukraine protestieren wollen.

Außerdem wurde ein 33-jähriger Petersburger angeklagt, der in der Ortschaft Sjaskelevo in alkoholisiertem Zustand als Zeichen seines Protests einen Molotowcocktail auf das Gebäude des örtlichen Gemeinderats geworfen haben soll. Ihm wird „Zerstörung fremden Eigentums“ [Art. 167 StGB] vorgeworfen.

Strafverfahren wegen Rechtfertigung des Nationalsozialismus

Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der Verfahren wegen Rechtfertigung des Nationalsozialismus [Art. 354.1 StGB] stark angestiegen, vermutlich, um diese Anklage vor allem gegen Personen anzuwenden, die sich gegen die „Spezialoperation“ und „Entnazifizierung“ in der Ukraine aussprechen könnten.

Ein Gericht in Ulan-Ude verurteilte zwei Bewohner wegen „Anbringung extremistischer Aufschriften“ an ein Veteranen-Denkmal des „Großen Vaterländischen Kriegs“ zu drei Jahren Lagerhaft in einer Ansiedelungskolonie bzw. zu drei Jahren Haft auf Bewährung. Zur Last gelegt werden den beiden die „Schändung von Grabstätten aus politischem oder ideologischem Hass“, die „Schändung des Andenkens an die Verteidiger des Vaterlandes und die Rehabilitierung des Nationalsozialismus“ sowie der „Aufruf zu extremistischen Aktivitäten.“ [Art. 244 Teil 2, Abs. a u. b StGB; Art. 354.1 Teil 4 StGB; Art. 280 Teil 1 StGB].

Ein 41-Jähriger aus Krasnojarsk wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Gemeinnütziger Arbeit wegen „Rechtfertigung des Nationalsozialismus“ [Art. 354.1 Teil 2 u. 4, Abs. v StGB] verurteilt, weil er im Internet Kommentare mit angeblich positiver Bewertung der Handlungen der Deutschen Armee und negative Informationen über Symbole des russischen militärischen Ruhms abgegeben haben soll.

Auch im Gebiet Tula und Feodosija [Krim] wurden zwei Strafverfahren wegen „Rechtfertigung des Nationalsozialismus“ eingeleitet, eine Person hatte in betrunkenem Zustand ein Elektrokabel am „Ewigen Feuer“ angezündet, in Feodosija soll der Angeklagte am „Ewigen Feuer“ Blumen angezündet haben.

„Palast-Prozesse“

Im Rahmen der Proteste 2021 zur Unterstützung Aleksej Navalnyjs, denen die Veröffentlichung des Films „Ein Palast für Putin“ vorausgegangen war, kam es bereits zu Verfahren gegen mehr als 180 Personen und auch im Oktober 2022 erneut zu Verurteilungen:

Zwei Jahre Haft auf Bewährung gegen eine Aktivistin wegen „Hooliganismus aus politischer Feindschaft“ [Art. 213 Teil 1, Abs. b StGB] Die Frau soll bei einer Demonstration 2021 mehr als 2000 Personen auf eine Fahrbahn im Zentrum der Stadt Izhevsk geführt haben.

Die Berufung zweier Angeklagter im Rahmen der „Palastprozesse“, die im Oktober 2021 zu zehn Monaten Freiheitsentzug wegen „Sperrung einer Straße“ [Art. 267 StGB] bzw. drei Jahren Haft in einer Ansiedelungskolonie wegen „Gewaltanwendung gegen eines Mitarbeiter der Spezialeinheit OMON“ [Art. 318 Teil 1 StGB] verurteilt worden waren, wurde abgelehnt, die Strafen bleiben unverändert.

Verfahren wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ nach Explosion beim FSB in Archangelsk

Am 31. Oktober 2018 zündete der 17-jährige Michail Zhlobizkij am Gebäude des FSB in Archangelsk eine Bombe, drei Mitarbeiter wurden verletzt, der junge Mann selbst starb. In der Folge leiteten die Sicherheitskräfte im ganzen Land Verfahren wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ gegen alle diejenigen ein, die sich zu dem Vorfall in den sozialen Netzwerken geäußert hatten. Auch im Oktober 2022 wurde dies Anlass für Verfahren und Urteile.

Zu Geldstrafen von 30 000 [ca. 480 Euro] bis 150 000 Rubel [ca. 2400 Euro] wurden drei Antifaschisten aus Kaluga verurteilt:„Rechtfertigung von Terrorismus“ [Art. 205.2. Teil 1 StGB], sie hatten Flugblätter mit der Fotografie von Michail Zhlobizkij bei sich gehabt.

Die Behörden wollen ein Verfahren gegen einen Anarchisten aus Kaliningrad wiederaufnehmen, der bereits wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Anlass soll die Veröffentlichung einer posthumen Notiz von Zhlobizkij als Screenshot sein.

Verfolgung der Zeugen Jehovas

Urteile gegen Zeugen Jehovas wurden im Oktober in mindestens 6 Regionen Russlands gefällt, dabei erhielten vier Personen in der Oblast Amur Lagerhaftstrafen in der Höhe von sechs Jahren und zwei Monaten bzw. sechseinhalb Jahren, in Sevastopol wurden drei Gläubige zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt. Weitere vier Personen wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. In zwölf Fällen bestätigten Berufungsgerichte bereits zuvor verhängte Strafen gegen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft.

Gegen zwei Gläubige aus Petropavlovsk-Kamtschatski fordert die Staatsanwaltschaft jeweils vier Jahre Lagerhaftstrafe wegen „Beteiligung an den Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ [Art. 282.2 Teil 1.1 StGB RF].

In Primorje wurden drei Zeugen Jehovas nach Hausdurchsuchungen in Haftanstalten verbracht u.a. unter dem Vorwurf der „Organisation von Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ [Art. 282.2 Teil StGB] bzw. „Beteiligung an den Aktivitäten einer extremistischen Organisation.“ Verhaftet wurde auch ein Gläubiger aus Majkop.

Anklagen erhoben wegen „Beteiligung an den Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ bzw. „Organisation von Aktivitäten einer extremistischen Organisation“ wurden gegen einen Bewohner der Oblast Tscheljabinsk und der Krim.

Zahlreiche Hausdurchsuchungen fanden bei Zeugen Jehovas in Adygeja [Nordkaukasus] sowie in der Region Kamtschatka statt. In der Oblast Volgograd traf ein Gericht die Entscheidung, Immobilien der Zeugen Jehovas zugunsten des Staates zu beschlagnahmen.

Verschiedenes

Einem Ökoaktivisten, der sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hatte, entzog man, ebenso wie seinem Vater und zwei Brüdern, wegen „formaler Fehler“ die Russische Staatsangehörigkeit. Der Aktivist ist überzeugt, dass dies mit seiner politischen Haltung in Zusammenhang steht.

Sechs Antifaschisten aus Ural verlängerte das Gericht die Unterbringung in Untersuchungshaft. Einer von ihnen wird angeklagt wegen „Gründung einer terroristischen Vereinigung“ [Art. 205.4 Teil 1 StGB], die anderen wegen „Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ [Art. 205.4 Teil 2 StGB]. Im Oktober hatte einer der Antifaschisten von Folter berichtet, eine Unterstützergruppe berichtete, die Behörden versuchten, die Arbeit der Anwälte zu behindern.

Ein Aktivist aus Rostov am Don wurde wegen eines Graffitis mit dem Text „Putin ist ein Dieb!“ zu eineinhalb Jahren Freiheitsbeschränkung sowie zu einer ambulanten Zwangsbehandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt: „Vandalismus auf politischer Feindschaft“ [Art. 214 Teil 2 StGB].

Der Aktionskünstler Pavel Krisevitsch wurde wegen einer Performance zur Unterstützung Politischer Gefangener auf dem Roten Platz in Moskau zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt: „Hooliganismus“ [Art. 213 Teil 2 StGB].

Gegen Bachrom Chamroev, Mitglied des liquidierten Menschenrechtszentrums Memorial, wurde ein weiteres Verfahren eingeleitet, diesmal wegen „Organisation von Aktivitäten einer terroristischen Organisation“ [Art. 205.5 Teil 1 StGB].

In Vladikavkaz wurde ein Strafverfahren gegen einen Blogger eingeleitet, dem „Öffentliche Verbreitung von Verleumdung“ [Art. 128.1 Teil 2 StGB] vorgeworfen wird. Anlass ist eine Veröffentlichung bei Telegram, in der er schreibt, ein stellvertretender Bezirks-Staatsanwalt von Vladikavkaz zwinge Ermittler, fabrizierte Verfahren gegen missliebige Personen einzuleiten.

6./23. November 2022

Zurück

Suche