Ildar Dadin berichtet von Misshandlungen und Todesdrohungen

Ildar Dadin, der am 7. Dezember 2015 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde (die Frist wurde später auf zweieinhalb Jahre herabgesetzt) und sich derzeit in einer Strafkolonie in Karelien befindet (jener, in der auch Michail Chodorkovskij einen Teil seiner Haft verbüßte), berichtet in einem Brief an seine Frau über systematische Misshandlungen.


Dadin war in den letzten Wochen mehrfach in den Strafisolator verlegt und am 11. Oktober einem „verschärften Haftregime“ unterworfen worden (letztere Maßnahme kann frühestens nach einem halben Jahr und nur, wenn keine weiteren Strafmaßnahmen innerhalb dieser Zeit verhängt werden, wieder aufgehoben werden). Seine Frau erfuhr davon am 18. Oktober.

In dem Brief, den sein Anwalt Alexej Lipzer aufgezeichnet hat, berichtet Dadin, er sei wiederholt von der Lagerleitung verprügelt und mit dem Tode bedroht worden. Nachfolgend der Brief von Ildar Dadin (auf Grundlage der Übersetzung vom DRA):

"Nastja! Wenn du dich entschließt, die Informationen über das, was mit mir geschieht, zu veröffentlichen, dann versuche sie so weit wie möglich zu verbreiten. Das erhöht die Chancen, dass ich am Leben bleibe. Du musst wissen, dass im Straflager Nr. 7 eine ganze Mafia herrscht, an der die gesamte Verwaltung dieser Einrichtung beteiligt ist: der Leiter des Straflagers, Kossiev Sergeji Leonidovitch, Major des Innendienstes und die absolute Mehrheit der Angestellten des Straflagers, die Ärzte inbegriffen.


Seit meiner Ankunft in der Strafkolonie am 10. September 2016 wurden mir fast alle Sachen abgenommen und man steckte mir heimlich zwei Rasierklingen zu, die danach bei einer Durchsuchung „gefunden“ wurden. Hier ist das eine alltägliche Praxis, die angewandt wird, um neuankommende Inhaftierte unbedingt in die Isolierzelle einzusperren. Sie sollen gleich verstehen, in welche Hölle sie hier geraten sind. Ich wurde in die Isolierzelle ohne jegliche Rechtsakte geschickt, dabei wurden mir alle Sachen einschließlich Seife, Zahnbürste, Zahnpasta und sogar das Toilettenpapier abgenommen. Als Antwort auf diese rechtswidrigen Handlungen habe ich einen Hungerstreik erklärt.


Am 11. September 2016 kam der Leiter der Strafkolonie Kossiev mit drei Mitarbeitern zu mir. Sie fingen an mich zu schlagen. Insgesamt haben sie mich an diesem Tag vier Mal zusammengeschlagen; 10 bis 12 Menschen gleichzeitig; sie traten mit den Beinen. Nach dem dritten Mal haben sie meinen Kopf in die Toilette eingetaucht, direkt in der Isolierzelle.

Am 12. September 2016 kamen Mitarbeiter, banden mir die Hände hinter dem Rücken zusammen und hängten mich an den Handschellen auf. Dieses Aufhängen bereitet unglaubliche Schmerzen in den Handgelenken, außerdem werden die Ellenbogengelenke ausgerenkt und du fühlst einen furchtbaren Schmerz im Rücken. So hing ich eine halbe Stunde. Danach wurde mir die Unterhose ausgezogen und man sagte mir, dass ein anderer Inhaftierter hereingeführt werde um mich zu vergewaltigen, wenn ich den Hungerstreik nicht beende.



Danach wurde ich in das Arbeitszimmer von Kossiev geführt, wo er mir in Anwesenheit anderer Mitarbeiter sagte: „Du wurdest noch zu wenig geschlagen. Wenn ich es den Mitarbeitern befehle, dann wirst du noch viel stärker geschlagen. Wenn du versuchst, dich zu beschweren, dann wird man dich umbringen und hinter dem Zaun vergraben.“ Danach wurde ich regelmäßig zusammengeschlagen, ein paar Mal am Tag. Immerwährende Prügelattacken, Verhöhnung, Erniedrigung, Beleidigungen und unerträgliche Haftbedingungen – all‘ das passiert auch mit den anderen Inhaftierten.


Alle weiteren Tadel und Unterbringungen in die Isolierzelle wurden fabriziert und beruhten auf einer offensichtlichen Lüge. Alle Videoaufnahmen, auf denen mir Tadel ausgesprochen wurden, waren inszeniert: bevor die Aufnahmen gemacht wurden, hat man mir gesagt, wie ich mich verhalten und was ich machen soll: nicht diskutieren, nicht widersprechen, auf den Boden schauen. Andernfalls, so sagten sie, brächten sie mich um und niemand erführe davon, weil ja sogar niemand weiß, wo ich mich befinde. Ich kann keine Briefe versenden ohne die Kontrolle der Gefängnisverwaltung. Die Gefängnisverwaltung hat mir gedroht, mich im Falle einer Beschwerde umzubringen.


Nastja, in meinem ersten Brief aus dem Straflager Nr. 7 habe ich dir über den Europäischen Gerichthof für Menschenrechte geschrieben, um die Zensur zu umgehen und wenigstens eine kleine Andeutung zu machen, dass nicht alles in Ordnung ist bei mir und ich Hilfe brauche (Ich habe keinen einzigen Brief von Ildar aus dem Straflager bekommen – Anmerkung Anastasija Sotowa, Dadins Ehefrau).


Ich bitte dich, diesen Brief zu veröffentlichen, da in dieser Strafkolonie eine richtige Informationsblockade herrscht. Ich sehe keine anderen Möglichkeiten, diese zu brechen. Ich bitte nicht darum, mich hier rauszuholen oder in ein anderes Gefängnis zu verlegen: ich habe mehrmals gesehen und gehört, wie andere Gefangene zusammengeschlagen werden. Deswegen erlaubt mein Gewissen es mir nicht, von hier zu fliehen. Ich habe vor zu kämpfen, um den Anderen zu helfen. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe vor allem Angst, dass ich die Folterungen nicht mehr aushalten kann und aufgebe.


Wenn das „Komitee gegen Folter“ noch nicht zerschlagen wurde, bitte ich es um Hilfe bei der Gewährleistung des Rechts auf Leben und Sicherheit für mich und die anderen Gefangenen. Ich bitte um die Verbreitung der Information, dass Major Kossiev direkt mit Mord droht für den Versuch einer Beschwerde über die Ereignisse. Ich wäre glücklich, wenn du einen Anwalt findest, der ständig in Segescha [Ort der Strafkolonie] anwesend ist und juristisch helfen kann.


Die Zeit spielt gegen mich. Die Videoaufnahmen der Videoüberwachung würden sowohl die Folter als auch die Schläge beweisen. Aber die Chancen werden immer geringer, dass es die Videoaufnahmen noch gibt. Wenn man mich weiter Folter, Schlägen und Vergewaltigungen unterzieht, halte ich wahrscheinlich nicht länger als eine Woche aus. Für den Falle meines plötzlichen baldigen Todes kann ich dir sagen, dass der Grund für meinen Tod ein Selbstmord, ein Unfall, ein Schuss bei einem Fluchtversuch oder eine Prügelei mit einem Gefangenen sein wird. Aber du sollst wissen - das wird eine Lüge sein, das ein von der Verwaltung geplanter Mord, mit dem Ziel einen Zeugen und ein Folteropfer aus der Welt zu schaffen.


Ich liebe dich und ich hoffe, dich irgendwann wiederzusehen.
Dein Ildar"


1. November 2016

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