Oral-History-Forschung von Memorial in Russland. Präsentation und Diskussion

Seit dem Ende der Sowjetunion vor knapp 20 Jahren hat die Gulag-Forschung enorme Fortschritte gemacht. Die entlegene und unbekannte Welt des von Alexander Solschenizyn erstmals vermessenen Archipels der Leiden wird so langsam aber stetig erkundet. Daran ändert auch wenig, dass seit Wladimir Putins Amtsantritt russische Archive immer schwerer zugänglich sind und vor allem die KGB-Archive teilweise wieder völlig geschlossen wurden. An der Erforschung des Gulag, der staatlichen Repressionen, des Terrors und des Lebens und Überlebens im Lager hat das wissenschaftliche Informationszentrum von Memorial, auch mit Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung, großen Anteil.

Weitgehend unerforscht ist aber nach wie vor der Alltag im Totalitarismus. Zwar gibt es eine offizielle Historiographie, aber nur sehr wenige Informationen über das Leben der Menschen außerhalb der staatlichen Repressionsmaschine. Diese Lücke versucht Memorial mit dem Projekt „Die letzten Zeugen" zumindest ein wenig zu schließen. Schon seit über zehn Jahren werden Audio-Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen aufgezeichnet: mit ehemaligen Gulag-Häftlingen aus den 1930er, 1940er und 1950er Jahren; mit Angehörigen von als „Vaterlandsverräter" Hingerichteten, die als „Familienmitglieder von Vaterlandsverrätern" eine eigene Bestraftenkategorie bildeten; mit sogenannten „entkulakisierten" Bauern; mit Verbannten; mit Deportierten; mit Mitgliedern nationaler Befreiungsbewegungen. Es gab, vor allem unter Stalin, sehr viele Verfolgtenkategorien in der Sowjetunion.

Aljona Koslowa und Irina Ostrowskaja, die Projektleiterinnen, berichten über diese Interviews. Dabei geht es vor allem um Geschichten von Familien in einer totalitären Gesellschaft, um ihre Überlebensstrategien, um die Mythen in der Familiengeschichte, um den Einfluss der erlebten Traumata auf die künftigen Generationen. Kurze Filmausschnitte aus ausgewählten Interviews werden diese Berichte ergänzen.

Ein weitgehend unbekanntes Nebenthema ist das Entstehen von kleinen, antisowjetischen Jugendorganisationen nach dem Krieg. Die Geschichte dieses frühen, vordissidentischen Widerstands gegen das sowjetische Regime wird am Beispiel der „Union zum Kampf für die Sache der Revolution“ gezeigt.

Die Veranstaltung wird Russisch-Deutsch simultan übersetzt.
Zeit: Dienstag, 23.3.2010, 19 Uhr
Ort: Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, Raum: Beletage
10117 Berlin, Schumannstr. 8

Mit der S-Bahn oder mit der U-Bahn bis Bahnhof Friedrichstraße. Ausgang über die Spree, dann Albrechtstraße, Reinhardtstraße überqueren und nach links in die Schumannstraße.
Information: Robert Sperfeld, Tel. 030-285 34 387, Email Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Eintritt frei, Anmeldung nicht erforderlich
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