Am 1. Oktober wurde das Menschenrechtszentrum Memorial einmal mehr zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Wegen des üblichen „Ordnungsvergehens“ – einer fehlenden „Agenten“-Markierung - soll es 300.000 Rubel (über 3.500 Euro) bezahlen.

Als angeblicher ausländischer Agent sind Organisation und Mitarbeiter, sofern als solche kenntlich, verpflichtet, bei jeder Verlautbarung und jedem Schriftstück einen Hinweis auf den Agenten-Status anzubringen.

Am 8. März dieses Jahres hatten sich mehrere internationale Organisationen an russische Behörden – den FSB-Grenzschutz, das Innenministerium sowie das Außenministerium – gewandt, um auf das Asylgesuch eines turkmenischen Bloggers aufmerksam zu machen und um Unterstützung zu bitten. Am Flughafen Scheremetevo hatte man sich geweigert, das Gesuch entgegenzunehmen. Vitalij Ponomarev, Leiter des Zentralasien-Programms bei Memorial, hatte sich dem Appell angeschlossen und ihn mit einem Anschreiben an die genannten Institutionen weitergeleitet.

Das Innenministerium und die FSB-Grenzbehörde schalteten sich ein, und das Problem wurde gelöst.

Das Außenministerium leitete den Appell jedoch an die Staatsanwaltschaft weiter und teilte mit, Ponomarev habe seine Funktion beim Menschenrechtszentrum Memorial angegeben, allerdings ohne den erforderlichen Hinweis auf den „Agenten“-Status. Damit kam der Stein mal wieder ins Rollen. Die Staatsanwaltschaft leitete am 25. Juni ein Verfahren ein – allerdings nicht gegen Ponomarev, sondern gegen das Menschenrechtszentrum (gegen eine Organisation kann eine wesentlich höhere Geldstrafe verhängt werden).

Das Menschenrechtszentrum, vertreten von Alexander Tscherkassov, argumentierte vor Gericht, dass das inkriminierte Schreiben nicht mit der Organisation abgesprochen, es wurde auch nicht im Postausgangsbuch registriert. Dies war am 8. März, einem Feiertag, nicht möglich. Da in diesem Fall schnell agiert werden musste, hatte Ponomarev alles von zu Hause aus erledigt, ohne Absprache, und keinerlei Verstoß gegen das Gesetz im Sinn gehabt. Ponomarev, der als Zeuge vernommen wurde, bestätigte diese Aussage.

Das Gericht berücksichtigte diese Erklärung nicht, der Richter lehnte es sogar ab, die vorgewiesenen Belege (das Postausgangsbuch) auch nur in Augenschein zu nehmen, und verurteilte Memorial zu der genannten Strafzahlung.

Gegen das Urteil wird das Menschenrechtszentrum Memorial natürlich Berufung einlegen.

1. Oktober 2021

 

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