Fokus Turkmenistan zum internationalen Tag der Pressefreiheit

In keinem anderen Staat der ehem. UdSSR ist die Menschenrechtslage so angespannt wie in Turkmenistan. Im nahezu vollständig isolierten Staat gibt es weder Opposition, noch Meinungs- oder Pressefreiheit. Im aktuellen Ranking der weltweiten Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen landet Turkmenistan auf dem drittletzten Platz. Die Plattform „Turkmen.News“ gilt als einzig freies Medium, das im Exil erscheint und von mutigen Bürgern Turkmenistans mit Nachrichten versorgt wird.

Zum internationalen Tag der Pressefreiheit sprach MEMORIAL Deutschland mit dem Gründer und Chefredakteur Ruslan Myatiev über die Lage im Land und das gefährliche Leben als Informant sowie die Mitschuld deutscher Unternehmen. 

 

Ruslan, zunächst, wie drücken sich die massiven Einschränkungen der Diktatur in Turkmenistan für die Menschen im Alltag aus? 

Die massiven Einschränkungen kommen in sehr unterschiedlich hässlichen Formen zum Ausdruck. Nehmen wir aktuell das Beispiel COVID. Viele Jahre lang war es turkmenischen Ärzten faktisch untersagt, an beruflichen Veranstaltungen wie Weiterbildungen, Symposien oder Seminaren im Ausland teilzunehmen. Die Ärzte durften nur dann zu Seminaren ins Ausland, wenn sie vorher ihre Entlassung unterschrieben haben. Bei einer Rückkehr durften sie sich dann neu bewerben. So wollten sich die Chefs der Ärzte absichern, dass sie im Ausland keine Informationen aus dem Land, etwa über die Kindersterblichkeit, preisgeben und nicht selbst dafür dann in Mithaftung gezogen werden. Kaum ein Arzt stimmt solchen Bedingungen zu.  Als Corona, dessen Existenz in Turkmenistan offiziell geleugnet wird, Turkmenistan traf, waren die turkmenischen Ärzte auf diese Situation völlig unvorbereitet. Als Folge dieser Einschränkung sind hunderte Menschen durch COVID gestorben, auch Dutzende von Ärzten starben.

 

Gleiches gilt für Bildung und alle anderen Lebens- und Wirtschaftsbereiche in Turkmenistan. Unser Bankensystem liegt in der Technik viele Jahre zurück. Die gesamte turkmenische Infrastruktur arbeitet nach alten Regeln und ist völlig wettbewerbsunfähig. Das Managementsystem ganzer Industrien ist veraltet und die Regierung fördert keine Reformen und Entwicklungen. 

Wie gehen die turkmenischen Staatsmedien mit der aktuellen Coronakrise um? Welche Informationen sind verfügbar? 

Offiziell gibt es ja in Turkmenistan keinen Virus, entsprechend gibt es auch keine Berichterstattung. Es sind die unabhängigen Medien wie mein Turkmen.news, die die Situation aufmerksam verfolgen und darüber berichten. Die offiziellen Medien sind vollständig kontrolliert. Jede Information, die die Öffentlichkeit erreicht, durchläuft mehrere Ebenen von Regierungszensoren. 

Wie gefährlich ist der Konsum von freien Medien und welchen Einfluss haben diese Sender? 

Freie Medien zu nutzen ist sehr gefährlich. Die Regierung blockiert den Zugang zu allen unabhängigen Medien, die in der Vergangenheit kritische Informationen über das turkmenische Regime verbreitet haben. Die Regierung gibt Millionen von Dollar aus, um modernste Technologie zu kaufen, VPN-Netzwerke und andere Dienste zu blockieren und Filter zu umgehen. Personen, die beim Besuch verbotener Webseiten erwischt werden, werden zunächst zur Polizei gebracht und gewarnt, „Gerüchte“ zu lesen und zu verbreiten. Besonders gefährlich ist es für Menschen, die unabhängige Medien konsumieren, die sich speziell mit Turkmenistan befassen, einschließlich meiner Webseite. Die Sicherheitsdienste betrachten uns als Feinde. Diejenigen, die uns lesen, werden auch verdächtigt, uns mit Nachrichten zu beliefern. 

Trotzdem umgehen viele Menschen die Regierungsfilter, lesen uns und berichten davon ihren Freunden und Verwandten. Auf diese Weise erfahren sie beispielsweise etwas über den Absturz eines Militärhubschraubers in Turkmenistan im Januar 2021, über den die Regierung und die offiziellen Medien nicht berichtet haben. 

Wie gut oder wie schlecht sind denn die Menschen in Turkmenistan über aktuelle Ereignisse in ihrem Land und in der Welt informiert? 

Die in Städten lebende, jüngere Bevölkerungsgruppe hat einen besseren Zugang zu Informationen, einschließlich zensierter Medien. YouTube ist in Turkmenistan durchaus beliebt, und es gibt mehrere Dutzend YouTube-Kanäle, die Nachrichten über Turkmenistan präsentieren. Auch unsere Nachrichten finden dort automatisiert statt, schon wenige Tage danach bemerkten wir, dass diese Themen im Land auch gefunden und diskutiert werden. 

Welchen Einfluss haben die internationalen Kanäle wie Radio Free Europe oder BBC Worldnews? 

Was die Weltnachrichten betrifft, da sehen die Turkmenen hauptsächlich türkisches und russisches Fernsehen. (Beide Staatssender berichten ebenfalls interessengelenkt über Turkmenistan, Anmerk. der Red.) Was auch immer dort ausgestrahlt wird, die Turkmenen haben Zugang. Aufgrund von Sprachbarrieren sind BBC, CNN und andere nicht türkische oder nicht russische Kanäle in Turkmenistan kaum relevant. 

Woher bekommen Sie Ihre Berichte, aus welchen Quellen stammen sie in einem Land, in dem echte Nachrichten nicht zugänglich sind? 

Wir haben Korrespondenten in Turkmenistan, die anonym arbeiten und sich nicht öffentlich als Reporter ausweisen. Unsere größte Informationsquelle sind „normale Bürger“ des Landes, die mit alltäglichen Problemen wie Nahrungsmittelversorgung, Geldmangel an Geldautomaten, Strom- oder Gasversorgungskürzungen usw. konfrontiert sind. Wir haben aber auch Quellen unter Regierungsbeamten, die trotz höchster Risiken bereit sind, uns interne Informationen, Dokumente von Beamten weiterzuleiten. Alle unsere Informationen werden doppelt geprüft, um den höchsten journalistischen Standards zu entsprechen. 

Sie selbst haben in den Niederlanden, wo Sie jetzt leben, Asyl erhalten. Das turkmenische Regime ist jedoch dafür bekannt, Kritiker auch im Ausland aufzuspüren und zu bedrohen. Wie sicher fühlen Sie sich? 

Ich kann mich nie zu 100 Prozent sicher fühlen, ich erhalte regelmäßig Drohungen. Ich versuche, meinen genauen Standort weder in den sozialen Medien noch anderswo preiszugeben. Es gab Versuche, mich in die Türkei einzuladen, "um einige wichtige Informationen weiterzugeben". Ich prüfe solche Einladungen sorgfältig und das war vermutlich eine Falle. 

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Turkmenistan den drittletzten Platz, nach China. Im Gegensatz zu anderen diktatorischen Staaten der Welt steht Turkmenistan aber kaum im Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Warum ist das so? 

Ich habe keine richtige Antwort auf diese Frage. Vielleicht liegt es daran, dass Turkmenistan aus geopolitischer Sicht ein sehr unbedeutender Akteur ist. Wir entwickeln keine Atomwaffen und befinden uns mit keinem anderen Land im Kriegszustand. Die Situation innerhalb des Landes ist mehr oder weniger stabil, es gibt keine öffentlichen Aufstände, um die Aufmerksamkeit der Welt zu erregen. Turkmenistan wird meistens als geschlossener Staat dargestellt, der von einem Clown regiert wird, der das Coronavirus leugnet und in lustigen Rollen in den Medien auftaucht, etwa wenn er vom Pferd fällt oder während einer Kabinettssitzung Gewichte hebt. Aber in Wirklichkeit leben die Menschen dort ein hartes Leben, sind Zwangsarbeit ausgesetzt, Hunderte von Regierungskritikern verbüßen lange Haftstrafen. Nicht viel davon gelangt in die internationalen Medien, das ist aus meiner Sicht sehr unglücklich. Wenn in unserer geopolitischen Nähe ernste Dinge passieren, wie etwa der Fall Nawalny in Russland oder Proteste in Belarus, wer interessiert sich da für das friedliche Turkmenistan... 

Wie gefährlich ist das Leben als Informant in Turkmenistan? 

Wenn Sie als unabhängiger Reporter arbeiten, leben Sie jeden Tag in höchster Gefahr. Im August 2020 wurde einer meiner wichtigsten Leute - Nurgeldi Halykov - verhaftet und wegen falscher Anschuldigungen zu vier Jahren Haft verurteilt. Er wurde für seine journalistische Arbeit für Turkmen.news bestraft. Auch vor ihm gab es schon mehrere Personen, die wegen ihrer Arbeit ins Gefängnis mussten oder physischen und psychischen Angriffen ausgesetzt waren: Saparmamed Nepeskuliev (3 Jahre Haft), Gaspar Matalayev (3 Jahre Haft), Hudayberdi Allashov (Bewährungsstrafe), Soltan Achilova (mehrere physische Angriffe in den letzten 10 Jahren). 

Die Reporter arbeiten in den meisten Fällen verdeckt. Die Geheimpolizei Turkmenistans investiert enorme personelle und finanzielle Ressourcen, um sie zu identifizieren und die Entstehung neuer Bürgerreporter zu verhindern - Anstatt Korruption und andere Arten von Gesetzesverstößen zu bekämpfen. 

Das Ministerium für nationale Sicherheit knöpft sich jene vor, die sich über die Probleme beschweren, Fotos von Warteschlangen machen und diese Informationen an uns weiterleiten. 

Bei diesen Strafen, die Sie schildern: Was sind die Anreize für die Menschen vor Ort, Sie mit Informationen zu versorgen? 

Unsere Leser sind sich aller Risiken bewusst. Die Anreize sind jedoch einfach: Die Menschen wollen, dass ihre Probleme gehört und behoben werden. Sie sind es leid, dass die Regierung sehr weit von der Realität und ihren Sorgen entfernt ist. Sie wollen, dass das Gesetz funktioniert und ihre Rechte respektiert werden. 

Deutsche Unternehmen liefern Überwachungstechnologie an die turkmenischen Behörden. Das erschwert es den Menschen vor Ort, auf unabhängige Quellen zuzugreifen, beispielsweise über VPN-Netzwerke. Welche Mitschuld haben diese Unternehmen an der mangelnden Freiheit in Ihrem Land? Wie wichtig wären staatliche Sanktionen gegen das turkmenische Regime? 

Das turkmenische Regime mit Überwachungstechnologie zu versorgen ist etwa so, einem Kannibalen Besteck anzubieten und "Guten Appetit!" wünschen. Ich verstehe, dass es ums Geschäft geht. Würden es die Deutschen es nicht liefern, würden es die Chinesen oder die Russen tun. Aber was es für mich so hässlich macht, ist, dass sich Deutschland, im Gegensatz zu China, auf menschliche Werte beruft und an Demokratie, Rechte und Rechtsstaatlichkeit glaubt.

Weder Deutschland noch ein anderes demokratisches Land sollte mit dem gegenwärtigen turkmenischen Regime dealen, sie sollten vielmehr eine starke und öffentliche Haltung gegen das Regime einnehmen. Sie sollten die wenigen turkmenischen Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen, die sich für Transparenz, Rechenschaftspflicht, Demokratie, Rechte und Freiheiten einsetzen, jene, die Korruption in Turkmenistan und Fälle von Menschenrechtsverletzungen wie das systemische und staatliche Zwangsarbeitssystem in der Baumwollproduktion aufdecken. 

Wie geht es weiter? Welche Hoffnungen haben Sie auf ein freies Turkmenistan? 

Die einzige Hoffnung, die ich und viele andere Turkmenen haben, ist ein Palastputsch und das Kommen eines „gemäßigten Führers“, der von Anfang an dem Interesse des Volkes dient, nicht sich selbst oder seiner Familie. Wenn ich ein Signal bekomme, dass meine Ausbildung und Erfahrung für den Bau eines neuen Turkmenistans erforderlich sind, kaufe ich sofort ein Flugticket nach Aschgabat. Die Menschen in Turkmenistan könnten ein viel besseres Leben führen, die Wirtschaft des Landes könnte wachsen und gedeihen. Das derzeitige Regime wirft Turkmenistan Jahrzehnte zurück, indem es seinen Bürgern nicht erlaubt, ihr Potenzial auszuschöpfen, indem es das Land vor Ausländern schließt und verschiedene Verbote und Beschränkungen auferlegt.

 

Interview und Übersetzung: Danilo Höpfner

2. Mai 2021

 

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