Gemeinsame Erklärung von Vertretern russischer Menschenrechtsorganisationen

 

Am 26. April 2021 beginnt der Prozess gegen den Fonds zur Korruptionsbekämpfung (FBK), die Navalnyj-Stäbe und die mit dem FBK zusammenhängenden juristischen Personen - zur Verhandlung steht ihre Einstufung als extremistische Organisationen sowie deren anschließende Liquidation und Verbot. Presse und Öffentlichkeit wurden von dem Prozess ausgeschlossen, das Anklagematerial wurde zum Staatsgeheimnis erklärt, nur Anwälte des FBK dürfen Einblick in diese Unterlagen nehmen, und auch das erst am Tag der Gerichtsverhandlung.

Was wirft die Moskauer Staatsanwaltschaft dem FBK und den Navalnyj-Stäben vor? Folgende Zitate wurde dazu in den Medien veröffentlicht: „Unter dem Deckmantel liberaler Parolen wollen diese Organisationen zur Destabilisierung der sozialen und gesellschaftspolitischen Situation beitragen… .“ „… ihr faktisches Ziel ist es, die Voraussetzungen für eine Änderung der Grundlagen der Verfassungsordnung zu schaffen, auch mithilfe des Szenariums einer Farbrevolution.“ „… durch diese Einrichtungen wird die Tätigkeit ausländischer und internationaler Organisationen auf dem Gebiet der Russischen Föderation durchgeführt, deren Aktivität für unerwünscht erklärt wurde.“ 

Nicht eine einzige dieser unklaren und verschwommenen Formulierungen hat etwas mit Extremismus oder einer extremistischen Tätigkeit zu tun. Alle konkreten Einzelheiten und Beweise wurden zum Staatsgeheimnis erklärt, was unter den Bedingungen einer öffentlichen Anklage für ihre vollständige rechtliche Haltlosigkeit spricht. 

Am 21. April gingen in vielen Städten Russlands erneut Zehntausende zu friedlichen Protesten auf die Straße, um die Forderung nach Zulassung von Ärzten zu Alexej Navalnyj zu unterstützen, empört über seine Inhaftierung sowie darüber, dass demonstrativ keine Untersuchung des Mordanschlags auf ihn durchgeführt wird. Unter den Demonstranten waren nicht nur direkte Anhänger, sondern auch Menschen, die Veränderungen in Russland wollen, die Freilassung politischer Gefangener und die Möglichkeit, durch Wahlen einen Machtwechsel zu erreichen. Sie alle fühlen mit Alexej Navalnyj und seinen engsten Anhängern, die verfolgt, mit Haussuchungen schikaniert und verhaftet werden.

Die Demonstrierenden sind mehr oder weniger der Ansicht, dass die Arbeit des FBK und der Navalnyj-Stäbe wichtig und nützlich ist, dass sie zur Überwindung von Apathie und zur Belebung der öffentlichen Politik beiträgt. Das Engagement der Anhänger Navalnyjs hat in Russland Menschen vereint, die bereit sind, auf die Straße zu gehen und die friedliche Demonstrationen als Möglichkeit betrachten, ihre Forderungen an die Machthaber heranzutragen. Der FBK wird dafür verfolgt, dass er öffentlich macht, was bereits jedem russischen Bürger bekannt ist: Die Reichen werden reicher, der Wohlstand der Bevölkerung sinkt, soziale Probleme werden nicht gelöst, Beamte leben in schamlosem Luxus. Das führt zu sozialer Zwietracht, über die Politiker und Kandidaten bei jeglichen Wahlen unweigerlich sprechen werden. Und jeder von ihnen kann nun in Analogie zum FBK zum Extremisten erklärt werden.

Die Einstufung des FBK und der Navalnyj-Stäbe als extremistische Organisation nimmt Hunderttausenden friedlichen, politisch aktiven und gesetzestreuen Bürgern Russlands die Hoffnung auf einen echten Dialog mit der Regierung und auf die Möglichkeit, politische Veränderungen in Russland auf friedlichem Weg herbeizuführen.

Ist sich die politische Führung des Landes nicht der Tragweite der Entscheidung bewusst, die für die „geheime“ Gerichtsverhandlung des Moskauer Stadtgerichts am 26. April vorbereitet wird? Begreifen der Präsident und seine Umgebung nicht, dass dies der direkte Weg in eine eskalierende Konfrontation ist, dass sie – statt einen Dialog zu führen – die Menschen zu einem Bürgerkrieg provozieren?

Wir rufen alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte Russlands dazu auf, friedlich und entschlossen gegen die Einstufung des FBK und der Navalnyj-Stäbe als extremistische Organisation einzutreten.

 

Valerij Borschtschev, Co-Vorsitzender Moskauer Helsinki Gruppe

Svetlana Gannuschkina, Leiterin Flüchtlingshilfsorganisation „Grazhdanskoe Sodejstvie“ [Bürger-Unterstützung], Vorstandsmitglied Menschenrechtszentrum Memorial

Natalija Evdokima, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten der Russischen Föderation

Igor Kaljapin, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten der Russischen Föderation

Oleg Orlov, Vorstandsmitglied des Menschenrechtszentrums Memorial, Vorstandsmitglied von Memorial International

Lev Ponomarev, Bürgerrechtsprojekt „Za prava tscheloveka“ [Für Menschenrechte]

Nikolaj Svanidse, Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten der Russischen Föderation

Natalja Taubina, Direktorin von „Obschtschestvennij verdikt“ [Public Verdict]

Aleksandr Tscherkassov, Vorstandsvorsitzender des Menschenrechtszentrums Memorial, Vorstandsmitglied von Memorial International

 

26./28.4.2021

 

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