Während eines Besuchs in seiner Heimatstadt Homel in Belarus wurde Vitali Shkliarov im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 30. Juli 2020 festgenommen und sitzt seither ohne Angabe von Gründen in Haft. Shkliarov hatte in der Vergangenheit in Russland bereits Kandidaten der Opposition bei Wahlkämpfen beraten und engagiert sich ebenfalls in Belarus schon jahrelang für freie und demokratische Wahlen. Seine Beschwerde über eine unrechtmäßige Verhaftung wurde abgelehnt. Über seinen Anwalt übermittelte er nun eine Erklärung, Kontakte zur Außenwelt werden Shkliarov verwehrt. Wir bringen diese Erklärung leicht gekürzt in Übersetzung.

 

Wie jeder Mensch, der den Mut hat, autoritäre Regierungen zu kritisieren, verstand ich, dass es keinen Zweck hat, sich vorzunehmen, nicht im Gefängnis zu landen. Aber als man mich festnahm, hatte ich trotzdem nicht erwartet, in ein totalitäres Verlies zu geraten. Es scheint so, als hätte irgendeine defekte Zeitmaschine mich direkt in den Gulag verfrachtet. Man schlägt mich nicht. Aber sie versuchen, mich zu brechen. Sie nutzen altbekannte Lagermethoden.

Das Schlimmste ist, dass ich keine Briefkontakte und auch sonst keinerlei Verbindung zur Außenwelt habe. Ich bin politischer Gefangener, deshalb lässt man die Briefe, die ich meiner Mutter, meinem Sohn, meiner Frau und Freunden schreibe, nicht durch die Gefängnismauern. Ich denke, dass die örtliche politische Leitung sie sorgfältig meinen Prozessakten hinzufügt, natürlich um sie gegen mich zu verwenden.

Briefe, die man mir aus der Freiheit schickt, kommen natürlich auch nicht an. Nicht etwa, dass man sie zensiert, die einen durchlässt, andere nicht. Sie kommen überhaupt nicht an. Obwohl man sie liest. Und Bücher übergeben sie auch nicht. Ich wollte anfangen, selbst etwas zu schreiben – verboten! Außerdem wird jedes Wort, das ich in mein Tagebuch schreibe, gelesen und kopiert.

Einmal, nach einem Treffen mit meinem Anwalt und dem Versuch, meiner Mutter und meiner Frau einen Brief zu übergeben, brachten sie mich in ein Zimmer, zogen mich nackt aus und durchsuchten mich eifrig - ob ich nicht irgendwo ein Stück Papier versteckt hätte. Dann steckten sie mich in den „Becher“ - das ist ein Betonkarzer von einem Quadratmeter – und durchsuchten währenddessen meine Zelle.

Glaubt mir, der „Becher“ ist im Vergleich mit dem totalen Informationsvakuum eine Kleinigkeit. Dafür haben sie mir zur geistigen Erbauung einen Fernseher in die Zelle gebracht. Natürlich sind nur die drei großen belarussischen Sender zu empfangen, wo einzig weißrussische, Seelen rettende Programme laufen, wahrscheinlich hoffen sie, mir mit Propaganda über Milchleistung und Getreideernte das Gehirn zu waschen. Duschen ist einmal die Woche, mittwochs, die Toilette in der Zelle ist für alle sichtbar. Man wird gezwungen, sich jeden Tag zu rasieren. So will es die Vorschrift. Wenn du dich nicht rasierst, droht man mit dem Karzer (der ist so ähnlich wie der „Becher“, aber es gibt einen Hocker, hinlegen kann man sich nirgends).

Sich einen Bart wachsen zu lassen, ist ein bestimmter Grad an Freiheit. Das ist nicht erlaubt! Alle müssen gleich sein. Die Klinge ist stumpf, Rasierlotionen gibt es nicht, das Wasser ist eiskalt. Schon nach der ersten Rasur habe ich eine Entzündung im Gesicht bekommen. Am nächsten Tag zwingen sie einen wieder, sich zu rasieren, obwohl gar nichts gewachsen ist! Die Reizung [im Gesicht] verstärkt sich. Ich rief den Arzt, der sagte, dass er die Entzündung sehe, aber nichts machen könne, man müsse sich rasieren. Vorschrift! Tagsüber sich aufs Bett legen, das darf man nicht – dafür sind Verweis und Karzer ebenfalls garantiert.

Dafür ist nach zehn Zapfenstreich. Und glaubt ihr etwa, Zapfenstreich ist sich hinlegen und schlafen? Zapfenstreich heißt nur, dass die sowjetpatriotische Musik ausgeschaltet wird, die von sechs in der Früh' an über den Hof dröhnt. Das Licht in der Zelle brennt ununterbrochen, 24 Stunden am Tag. Die Pritschen sind kurz, aus Eisen und so unbequem, dass es unmöglich ist, darauf einzuschlafen. Die Beine schwellen an, man kann sie nicht ausstrecken. Deshalb ist auszuschlafen unrealistisch: Es schmerzt und es ist hell. Und das ständige Gerassel der eisernen Schlösser und Türen. Immer. 24 Stunden am Tag. Im Jahr 2020 kann und muss man das als Folter bewerten. Folter für die Freiheit des Wortes, für die falschen Ansichten und für Artikel zur Präsidentschaftswahl.

Unfreie Belarussen, ich hoffe, dass es dort bei euch in der Freiheit trotzdem noch besser ist als hier. Obwohl der Unterschied täglich geringer wird, wenn jene Gerüchte, die aus der Freiheit hierher dringen, wahr sind, dann sind die unerträglichen Umstände, in denen ich mich befinde, nichts im Vergleich dazu, dass man Jugendliche, Heranwachsende und junge Frauen mit Stöcken derart schlägt, dass ihre Körper grün und blau sind. Und weiß der Teufel, welche Gefängnisstrafen ihnen und mir drohen.

Und trotzdem verliere ich nicht die Hoffnung auf Freiheit für uns alle. Es wird sie geben. Früher oder später. Wir müssen nur diese verfluchte Zeitmaschine finden und zurückkehren ins 21. Jahrhundert. Ich erkläre es für alle Fälle offiziell: Ich habe keine Selbstmordgedanken. Ich hoffe, vollständig für unschuldig erklärt zu werden, in Freiheit zu kommen und mein freies, ehrliches Leben, das ich immer geführt habe, weiterleben zu können.

 

Mit Respekt und Liebe

Vitali Shkliarov

freier politischer Gefangener, der vorübergehend in der Belarussischen SSR festgehalten wird

 

17. August 2020

 

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