Die Koalition russischer Menschenrechtsorganisationen, die 2016 zur Unterstützung von Menschenrechtlern gebildet wurde, zieht nach sieben Jahren Geltung des „Agentengesetzes“ nachstehende Bilanz, nicht zuletzt auch im Hinblick auf das kürzlich verabschiedete Gesetz über eine weitere Kategorie "ausländischer Agenten".

 

Bevor der russische Präsident das Gesetz unterzeichnete, das es ermöglicht, auch physische Personen zu ausländischen Agenten zu erklären, haben Experten dazu Stellung genommen, für wen es gelten und wie es sich auswirken wird. Die Gesetzgeber, die die Änderungsentwürfe für die Gesetze „Über Massenmedien“ und „Über Information, Informationstechnologien und den Schutz von Information“ angenommen haben, waren sich selbst nicht im Klaren darüber, wieviel Personen davon betroffen wären. Sie gingen davon aus, es seien einige Dutzend.

Tatsächlich lässt sich das Gesetz, das dem gesunden Menschenverstand Hohn spricht, auf einen sehr großen Personenkreis anwenden, da seine Bestimmungen ziemlich unklar sind.

Diesen Schluss legt die traurige Erfahrung mit der Anwendung des so genannten „Agentengesetzes“ nahe, das vor sieben Jahren im November 2012 in Kraft trat. Auch damals war schon klar, dass es in einer derartigen Initiative um die Unterdrückung der russischen Zivilgesellschaft geht. Die regierungstreuen Propagandisten bekräftigten damals wie heute ihr „Mantra“ von einer „Antwort“ und verwiesen auf den amerikanischen FARA (Foreign Agents Registration Act - Registrierungsgesetz für Auslandsvertreter), obwohl das US-amerikanische Gesetz sich von der russischen „Entsprechung“ wesentlich unterscheidet.

In den sieben Jahren, in denen das „Agentenregister“ bestand, wurden dort 188 Organisationen verzeichnet – in erster Linie solche, die die Bürgerrechte aktiv vereidigten, sich für ökologische Ziele einsetzten oder Menschen halfen, die sich in einer ausweglosen Situation befanden. Zurzeit sind 74 NGOs als „Agenten“ registriert.

114 Organisationen wurden aus dem Register ausgetragen, zwei Drittel (78) haben ihre Tätigkeit beendet und ihre Organisationen aufgelöst. Über 40 % der NGOs, die dieses Gesetz unmittelbar betraf, gerieten so sehr unter Druck, auch durch Strafzahlungen, dass sie zu diesem Schritt gezwungen waren. Andere, die stark genug waren, ihre Arbeit fortzuführen, wurden zwangsweise liquidiert.

Und wozu das alles? Wer hatte etwas gegen die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, von ökologischen, sozialen und fachspezifischen NGOs? Allein die Staatsbürokraten.

Anfang des zweiten Jahrzehnts in diesem Jahrhundert war die Zivilgesellschaft in Russland spürbar stärker geworden, sie entwickelte den öffentlichen Sektor und damit auch eine Machtkontrolle. Bei vielen Ministerien und Behörden wurden gesellschaftliche Räte geschaffen, mehrere Gesetze wurden verabschiedet: „Zur öffentlichen Kontrolle über die Einhaltung der Menschenrechte in Haftanstalten und zur Unterstützung inhaftierter Personen“, „Zur Gewährleistung des Zugangs zu Informationen über die Arbeit staatlicher Organe und lokaler Selbstverwaltungsorgane“, „Die Grundlagen der öffentlichen Kontrolle in der Russischen Föderation“.

2012 kam es zur Reaktion. Unter dem Vorwand einer fiktiven Bedrohung durch westlichen Einfluss attackierte man die aktivsten und unbequemsten NGOs und stellte ihre öffentliche Tätigkeit als bösartige ausländische Einflussnahme dar.

Die Tatsache, dass die Zahl der gebrandmarkten NGOs auf 74 zurückgegangen ist, ist kein Grund zu Optimismus. Denn eine große Zahl von „Gefangenen“ wird einstweilen gar nicht gebraucht. Die Machthaber haben den russischen NGOs schon hinreichend zu verstehen gegeben, dass jede von ihnen bei Bedarf durch dieses Gesetz vernichtet werden kann. Gerade zu diesem Zweck wurde das Gesetz mehrere Male „verbessert“. Darüber hinaus hat man auf seiner Grundlage noch weitere Druckmittel entwickelt, die die Massenmedien und ausländische NGOs ins Visier nehmen.

Eine Reaktion auf die Protestaktionen im letzten Sommer blieb nicht aus - nämlich das Gesetz, das auch physische Personen zu potentiellen ausländischen Agenten macht. Jeder einfache russische Bürger, der beispielsweise aktiv soziale Netze nutzt, kann in den Augen der Machthaber jetzt unverhofft zu einem gefährlichen Agenten werden.

 

10. Dezember 2019

 

 

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